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25. April 2005
Filmfestival Visions du Réel Nyon erstmals mit Interreligiöser Jury

Am Internationalen Filmfestival Visions du Réel in Nyon, das vom 18. bis 24.April seine 11.Ausgabe auf die Leinwand gebracht hat, war mit Unterstützung der Katholischen Kirche Schweiz und der John Templeton Stiftung erstmals eine von SIGNIS und INTERFILM organisierte Interreligiöse Jury akkreditiert. Sie vergab den von der Katholischen Kirche Schweiz und der John Templeton Stiftung mit Fr. 5'000 dotierten Preis an den finnischen Wettbewerbsfilm „Fata Morgana“ von Anastasia Lapsul und Markku Lehmuskallo. Zudem zeichnete sie den französischen Film „Un dragon dans les eaux pures du caucase“ von Nino Kirtadzé mit dem Spezialpreis der John Templeton Stiftung aus, den diese im Blick auf ihr Interesse am Dialog zwischen Wissenschaft und Religion mit zusätzlichen Fr. 5'000 dotiert hat.

 

Die internationale Filmkultur, die am Festival Visions du Réel in Nyon gezeigt und diskutiert wird, hat sich bisher auch als sensible Plattform für den Dialog zwischen verschiedenen religiösen Kulturen und Werthaltungen präsentiert. Entsprechend wurden die vier Mitglieder der Interreligiösen Jury, Roza Berger-Fiedler, Dokumentarfilmerin und Redakteurin am Jüdischen Fernsehen in Berlin, Nicoletta Mani, Filmstudentin in der Schweiz, Mani Mezhukanal, der seit dreissig Jahren in der Schweiz lebende und im interkulturellen Dialog engagierte Inder, sowie Robin E Gurney, Journalist aus England und ehemaliger Kommunikationsbeauftragter der Konferenz Europäischer Kirchen, in ihren Erwartungen nicht enttäuscht. Die formal wie inhaltlich abwechslungsreichen und vielseitigen 18 Filme des Wettbewerbsprogramms zeichneten sich sowohl durch ihre unverwechselbare Qualität wie unvergleichbare Darstellung der Wirklichkeit aus und gaben Anlass für einen intensiven Gedanken- und Meinungsaustausch.

Mit „Un dragon dans les eaux pures du caucase“ (The pipeline next door) der seit vielen Jahren in Paris lebenden Georgierin Nino Kirtadzé gewann ein aktueller Film sowohl den mit Fr.15'000 dotierten Hauptpreis der Internationalen Jury wie den Spezialpreis John Templeton der Interreligiösen Jury, der auf fesselnde und amüsante Art die dramatische Konfrontation der Bewohner eines Dorfes in dem für seine heilsamen Wasser berühmten kaukasischen Borjomi-Tal mit den mächtigen Vertretern der am Bau einer Pipeline beteiligten globalen Erdölfirma porträtiert. Während die Vertreter von BP mit Kaufverträgen für das benötigte Land im Dorf auftauchen, schreitet der Bau der von Aserbaidschan in die Türkei führenden gigantischen Pipeline bedrohlich voran. „Dieser Drache wird uns fressen“, sagen die Bauern. Doch während sich einige angesichts der gefährdeten Heilwasserquellen sowohl um die Zukunft wie um ihre Rechte betrogen sehen, wittern andere ein willkommenes Geschäft. Das Dorf ist heillos zerstritten und deshalb wirkt das Gebet der Frauen um lokalen, nationalen und weltweiten Frieden in den Ruinen ihrer Kirche besonders berührend.

„Massaker“, die deutsch-schweizerische Koproduktion von Monika Borgmann, Lokman Slim und Hermann Theissen, die von der Internationalen Jury mit dem zweiten Hauptpreis ausgezeichnet wurde, scheint im Gegensatz zum Hauptpreisträger rückwärts gerichtet zu sein. Im Mittelpunkt stehen Berichte von sechs Mitgliedern christlicher Milizen, die 1982 bei den nach wie vor unaufgeklärten Schlächtereien in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila beteiligt waren. Der Film löste kontroverse Diskussionen aus und provozierte angesichts der Reduktion der Bilder auf behaarte, dunkle Körperteile anonym und gesichtslos bleibender Täter in einem abgedunkelten Raum die Frage nach der filmischen Qualität. Und obwohl die weitgehend unzusammenhängend aneinander gereihten Äusserungen stellenweise Ansätze von Selbstbesinnung erkennen liessen, blieb der Film düster und ohne erhellende Einsichten in den Ursprung des Bösen, wie es sich in den letzten Jahren in den kollektiven Gewaltakten in Rwanda und im ehemaligen Jugoslawien wiederholt manifestiert hat.

Nicht mit Waffengewalt, sondern durch Kolonialisierung mit Waren (Zucker, Tabak, Messern, Äxten und vor allem Alkohol) wurde das asiatische Nomadenvolk der Tschuktschen von den Russen erobert und langsam aufgerieben. Dazu kam eine systematische „Desidentifikations“-Politik mit Unterdrückung der Sprache und Zuteilung eines russischen Namens beim Schuleintritt jedes Kindes. „Fata Morgana“ von Anastasia Lapsul und Markku Lehmuskallio ist ein Wechselspiel zwischen der Gegenwart, in welcher die Erinnerung wieder angefacht wird, und der mythischen Vergangenheit, als die Eskimos in Harmonie mit dem Meer lebten. „Der Film ist ein unaufdringlicher, aber bestimmter Aufruf zu gegenseitigem Verstehen und Annehmen und eine Einladung, Wahrheit mit Bescheidenheit und Mut zu suchen“, schreibt die Interreligiöse Jury in ihrer Begründung für ihren Preis.

Anders als in früheren Jahren vermochte keiner der drei Schweizer Beiträge wirklich zu überzeugen. Beim sowohl sympathischen wie berührenden Eröffnungsfilm „Josh’s Trees von Peter Entell, in dem dieser den filmischen Nachlass seines Freundes Josh Hanig ordnet und als Vermächtnis für dessen Sohn Marshall mit persönlichen Erinnerungen ergänzt, blieb der Eindruck zurück, dass der zu private Charakter der Montage dem künstlerischen Anspruch nicht dienlich ist. Das Porträt „Maria Bethânia, Music é perfume“ von Georges Gachot über die legendäre brasilianische Sängerin wirkte zwar lebendig und wohltuend, vermochte aber naturgemäss dem Vergleich mit der seinerzeitigen Qualität des Films über Martha Argerich nicht standzuhalten. Fernand Melgar schliesslich, dessen Lausanner Produktionsfirma „Climage“ aus Anlass des 20jährigen Bestehens mit einer Sonderveranstaltung geehrt wurde, zeigte mit „Exit“ in der Tradition des „Cinéma direct“ einen sachlichen, aber unkritisch wirkenden Film über die 1980 in der Westschweiz gegründete gleichnamige Sterbehilfeorganisation, wobei er am Ende an die Grenzen dessen geht, was Kino darstellen darf. Natürlich ist der Film nicht im Auftrag von Exit entstanden, aber dass er so wahrgenommen werden kann, macht deutlich, welche Anfragen er auslöst.


Die übrigen Preise: www.visionsdureel.ch

Hans Hodel, Bern