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10. Oktober 2008
Langjähriger EKD-Filmbeauftragter Gerd Albrecht gestorben

Der langjährige Filmbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Dr. Gerd Albrecht, ist nach Angaben seiner Familie am vergangenen Montag im Alter von 75 Jahren in Köln gestorben. Albrecht bekleidete das Amt des Filmbeauftragten von 1971 bis 1983. Er studierte Evangelische Theologie, Psychologie und Soziologie und trat 1962 mit der Studie „Film und Verkündigung“ hervor. Nach seinem Studium leitete er das Filmseminar  an der Universität Bonn, dann die Abteilung Massenkommunikation am Kölner Forschungsinstitut für Soziologie. Von 1970 bis 1980 stand er an der Spitze des Instituts für Medienforschung in Köln. 1981 übernahm er die Leitung des Deutschen Instituts für Filmkunde, die er bis zu seiner Pensionierung 1996 innehatte. Für INTERFILM war er zeitweilig Mitglied des Exekutive Committees, Direktor der INTERFILM-Akademie und mehrfach Mitglied der INTERFILM-Jurys bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin und Oberhausen. Bis zuletzt war Albrecht für die evangelische Kirche in der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) tätig.

Als Filmwissenschaftler hat sich Gerd Albrecht unter anderem um die Untersuchung des Films im Nationalsozialismus verdient gemacht, so mit der grundlegenden Studie „Nationalsozialistische Filmpolitik“ (1969). Sie führt in den Kern einer Verbindung von akademischen, moralischen und politischen Engagement, die ihn auch als evangelischen Filmbeauftragten auszeichnete. Auf diesem Fundament hat er von Politik und Kirche eine kulturell profilierte Unterstützung des Films angemahnt.  In seinen Stellungnahmen als EKD-Beauftragter zur Filmförderung hat diese Haltung immer wieder ihren Niederschlag gefunden. Seine profunde Kenntnis und sein persönlicher Erfahrungshintergrund – er wurde 1933 im polnischen Chodziez (Kolmar) geboren – verbanden sich zu einem verschmitzten Eigensinn, mit dem er Jüngeren seine Einsichten zu vermitteln wusste. Seine pädagogische Ambition kam in Einführungen zur Filmanalyse, in seiner Arbeit als FSK-Prüfer, die er als Abwägung zwischen Schutz und Ermöglichung von Erfahrung verstand, aber auch in populären, auf breite Wirkung angelegten Publikationen wie „Die großen Filmerfolge“ (1985) zur Geltung. Nur aus einem solch breiten Horizont konnte er fragen: Kann Unterhaltung als Parabel dienen? – und die Frage bejahen. Auf der anderen Seite setzte er sich für einen Film der Avantgarde wie „Moses und Aron“ von Jean-Marie Straub und Danièlle Huillet ein und verteidigte die Jury der Evangelischen Filmarbeit, die ihn als „Film des Monats“ ausgezeichnet hatte. Ein Gesamtverzeichnis seiner Arbeiten ist in dem zum 50-jährigen Jubiläum von INTERFILM publizierten Band „Kirche und Film im Dialog“ (2005) erschienen. Mit Gerd Albrecht haben Filmkultur und Kirche einen offenen Geist, einen Anwalt ethisch inspirierten Filmengagements und eine Instanz der filmhistorischen Erinnerung verloren.

Karsten Visarius

 

Ein persönlicher Nachruf auf Gerd Albrecht

von INTERFILM-Mitlgied Dorothea Schmitt-Hollstein

Mit dem Filmhistoriker Gerd Albrecht ist nicht nur ein leidenschaftlicher Filmfreund und unermüdlicher Medienpädagoge gestorben, sondern zugleich der wohl beste deutsche Kenner des nationalsozialistischen Films. Noch vor wenigen Monaten hat er die Ausstellung "Jud Süß"-Propaganda im NS-Staat" im Stuttgarter Haus der Geschichte mit der Leitung von Seminaren begleitet, ohne die die Vorführung des verbotenen Veit-Harlan-Films über den Hofjuden Süß Oppenheimer nicht möglich gewesen wäre. Wann immer er gebraucht wurde, war er auch als Ruheständler in Rufweite. Und wer ihn einmal etwa bei einer Diskussion über den Pseudodokumentarfilm "Der ewige Jude" erlebt hat, fand ihn auf keine Frage unvorbereitet.

Gerd Albrecht war ein Experte, der sein Wissen zugleich bereitwillig teilte. Als ich im Frühjahr 1961, ermutigt durch die Berliner Dozenten Margarethe von Brentano und Peter Furth, damit anfing, als Filmjournalistin und Studentin im 4. Semester Stoff für meine spätere Dissertation "Die Judendarstellung im nationalsozialistischen Film" zu sammeln, gab es weder zu diesem Thema, noch zur Filmanalyse irgendwelches Material, auf das ich mich hätte stützen können. Aber in Bonn begann ein junger Dozent, Ziele und Methoden einer solchen Betrachtung zu entwickeln. Von ihm bekam ich das Skript, noch ehe es 1965 im Druck erschien. Es leistete mir unschätzbare Dienste, indem es mich zu eigenen Überlegungen anregte. Ähnlich hilfsbereit stellte mir Gerd Albrecht Materialien seines 1969 publizierten Standardwerks "Nationalsozialistische Filmpolitik" zur Verfügung, die für meine ein Jahr vorher abgeschlossene Arbeit wichtig waren. Gleichzeitig verhalf er mir zu wichtigenKontakten. So gehört Gerd Albrecht zu jenem - nun langsam aussterbenden - Kreis von Menschen, ohne die mein Buch "Antisemitische Filmpropaganda", das dann 1971 endlich gedruckt wurde, nicht zustande gekommen wäre.

In Stuttgart wurde mein Manuskript als erste Nachkriegsarbeit über den "Jud Süß"-Film gezeigt. Bei der Ausstellungseröffnung dort im Dezember 2007 habe ich mich gefreut, Gerd Albrecht wiederzusehen. Nachher haben wir uns noch am Telefon kritisch ausgetauscht. Ich hätte ihn gern noch vieles gefragt.  Die für mich völlig überraschende Nachricht von seinem Tod schmerzt sehr.