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27.01.2003
INTERFILM-Info 2/02 - Editorial

von Hans Werner Dannowski

Die Zeiten finanzieller Engpässe - nicht nur in den Kirchen - sind auch für die kirchliche Filmarbeit stürmische Zeiten. So hat uns die Nachricht aufgeschreckt, dass in Deutschland die katholische Kirche nicht nur ihre Medienarbeit umorganisiert und die Filmarbeit reduziert, sondern auch die Zeitschrift "film-dienst“ im Juni 2003 einstellen will. Ich bin völlig fassungslos darüber, mit welcher Leichtfertigkeit und Ahnungslosigkeit eine weltweit - gerade außerhalb der Kirchen - anerkannte Arbeit aufgegeben wird. Das „Lexikon des Internationalen Films“, das aus der Arbeit des "film-dienstes" entstanden ist, hat nicht seinesgleichen und wird von jedem, der im Film verantwortlich tätig ist, ausnahmslos genutzt. Der Aufbruchsgeist der Nachkriegsjahre geht in Deutschland offenbar hier und da zu Ende, Kirchen ziehen sich in ihr Ghetto zurück. Die kirchliche Filmarbeit hat in den Kirchen oft keine Lobby, müssen wir immer wieder feststellen.
 
Da sind wir mit außerkirchlichen Institutionen oft besser dran. Auch bei der Berlinale drohten finanzielle Engpässe mit der Folge einer personellen Reduzierung der Oekumenischen Jury und andere Restriktionen, unsere Mitarbeit lahmzulegen. In sofort angesetzten Gesprächen mit dem Festivalleiter Dieter Kosslick - Werner Schneider und Robert Molhant waren von INTERFILM und SIGNIS dabei - konnte aber ein Kompromiss erreicht werden, der unsere Juryarbeit weiterhin möglich macht und auch auf eine mögliche Bedeutung der Kirchen bei neuen Akzentsetzungen der Berlinale verweist. Gerade in Umbruchsituationen ist die kirchliche Filmarbeit ein gefragte Partner im Dialog. So können wir den Wünschen, die aus verschiedenen Ländern Osteuropas an uns gerichtet werden, nur langsam und mit Mühe nachkommen.

Die Turbulenzen in der katholischen Filmarbeit waren natürlich auch auf dem Seminar spürbar, das - im Rahmen des Filmfestivals von Mannheim-Heidelberg - SIGNIS (die neue katholische Weltorganisation, die UNDA und OCIC vereinigt) und INTERFILM gemeinsam veranstalteten. Unter dem Thema ,,(Dis)Regarding the Imagel“ ging es um die ästhetischen und theologischen Dimensionen des Bildverständnisses am Beispiel gegenwärtiger Filmsprache in der Sicht der verschiedenen kirchlichen Traditionen. Insgesamt war es, so wurde es allgemein geäußert, eine sehr zufriedenstellende und geglückte Veranstaltung. Die intensiven Gespräche nach den vier Filmen (Rosetta, Habla con Ella, Heaven, Der Felsen), zwei interessante Vorträge (Maggie Roux, Leeds und Boris Grays, Karlsruhe), ein ausgiebiges Gespräch mit dem Filmregisseur Dominik Graf, das offenbar auch für ihn befriedigend war: Es stimmte alles gut zusammen. Der Festivalleiter von Mannheim-Heidelberg, Michael Kötz, hat das Seminar wie auch die kirchliche Filmarbeit insgesamt hervorragend unterstützt.

Das Ergebnis der Tage von Mannheim habe ich für mich in einer ganzen Reihe von Punkten festgehalten. Im Blick auf die Zusammenarbeit der evangelischen und katholischen Mitglieder in den Oekumenischen Juries der verschiedenen Festivals steht die eigentlich zu erwartende, aber immer wieder überraschende Feststellung an erster Stelle: Es gibt - im Filmbereich - keine konfessionelle Diversifizierung mehr. Das gilt für die Filmproduktion wie auch für die Rezeption. Sicher sind häufig konfessionelle Hintergründe und Traditionen erkennbar. Sicher gibt es kritische Punkte, die bei den verschiedenen Kirchen an jeweils anderen Stellen liegen. Aber dies alles bestimmt nicht mehr den Gesamteindruck, die ästhetische Form und die inhaltlichen Aussagen. Der Gegensatz von Ikonoklasten (Reformation) und Ikonodoulen (Katholizismus) ist im Filmbereich weitgehend überholt. Die Kunst ist auch hier den Kirchen wieder ein Stück voraus. Dabei ist die Stärke der Impulse, die von den christlichen Traditionen in den Film hinübergewandert sind, in immer stärkerem Maße spürbar. Die Umwandlung der religiösen in ästhetische Impulse ist in vollem Gange. Dies ist natürlich in einem Diskussionsforum, das ausschließlich aus Kirchenvertreterinnen besteht, besonders deutlich zu spüren.

Zu diesen Impulsen, die die Gleichnisfähigkeit der filmischen Darstellung für theologische Interpretationen darstellt, gehört vor allem die Einbindung der Wahrheitsfrage in einen offenen Prozess. Wahrheit ist keine festgelegte und auf Dauer festgestellte Größe mehr. Aus Bildern, Gegenbildern, Nachbildern entwickelt sich, in den Duktus von elementarer Bewegung und Erzählung eingebunden, der Wegcharakter von Wahrheit, der an die Zeitlichkeit des Lebens gebunden ist. Die eschatologische Ausrichtung des christlichen Glaubens hat hier die entscheidenden Strukturen geliefert.

Der Impuls des Unbedingten, die Absolutheitserfahrung von Liebe, die alles über den Haufen wirft, ist ebenfalls ein durch und durch religiöses Element. Der allwissende Erzähler, der sich ikonographisch in den "göttlichen Blick" umsetzt (Totale), ist dabei eher in die filmästhetische wie in die theologische Auseinandersetzung geraten. Näher liegt heute vielfach der "nahe Blick", der - vielleicht sogar mit der Handkamera aufgenommen - dem oder der Protagonistin auf Schritt und Tritt folgt und mitleidslos/mitleidsvoll die Beziehungslosigkeit wie die Sehnsucht nach Beziehung aufzudecken vermag. Wahrheit offenbart sich gerade in der Nähe. Die apokalyptische Wucht vieler Filme, die Kontingenzerfahrung: Gerade unter dem Erfahrungsreichtum theologischer und philosophischer Traditionen lassen sich mit den Filmen der Gegenwart unendliche Expeditionen auf der Suche nach Wahrheit führen. Die Tage von Mannheim waren für alle, die dabei waren, eine wichtige Markierung auf diesem Weg. Die Diskussionen werden und müssen weitergehen. Wir hoffen, dass INTERFILM weiterhin einen guten Beitrag dazu leisten kann.

So grüße ich Sie und Euch alle zum Jahreswechsel und wünsche Ihnen und Euch ein gesundes und erlebnisreiches Jahr 2003. Mögen die dunklen Wolken am politischen Himmel, die uns in diesen Monaten sehr erschrecken, ein wenig heller werden.