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4.7.2003
"Family Affairs" - 21. Arnoldshainer Filmgespräche 2003
von Eva-Maria Lenz


Den Führungsposten in der Firma hat Vincent verloren, die Schlüsselrolle in der Familie will er behalten. Also spiegelt er den Seinen weiterhin Berufsmühen vor. Sein tiefer Sturz macht ihn zum Hochstapler, der sich eine Karriere bei den UN zusammenphantasiert. Einerseits läßt sich hier ein Geisterfahrer auf der Lebensreise vom Trägheitsprinzip treiben, andererseits verkehrt sich grotesk die anzeigenübliche unternehmerische Tugend der Risikobereitschaft. Laurent Cantets aktueller Film "Auszeit" (Bild)  beobachtet, wie in der Familie persönliche Lebensentwürfe, traditioneller Erwartungsdruck und gesellschaftliche Einbrüche kollidieren. Anders als mancher Sozialpolitiker sieht der junge französische Regisseur die Familie nicht als Experimentierfeld, sondern als geballtes existentielles Bezugssystem.

Die Filmtagung "Family Affairs", bei der Cantets seismographischer Wurf jetzt glänzte und einleuchtete, verfolgte diesen Ansatz vielschichtig weiter. Unter Leitung von Margrit Frölich und Karsten Visarius widmete sich die dreitägige Veranstaltung des Frankfurter Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik und der Akademie Arnoldshain produktiver Grenzgängerei: zwischen Leinwand und Leben, Reflexionen zur Familienstruktur und Kinoästhetik. Im Wechsel von Filmen und Vorträgen konnten Kenner und Liebhaber Blick und Einsicht schärfen.

"Familienroman" nannte Freud die individuell gefärbte Bilanz früher Erfahrungen, die in der Analyse oder auch je nach Lebenslage "umgeschrieben" wird. Die Psychoanalytikerin Ilka Quindeau warf die Frage nach Beziehungen zwischen einer solchen Intimbilanz und einschlägigen Filmen auf. Berührungspunkte boten hier etwa die Vater-Sohn-Konflikte in Ang Lees Sittengemälde "Eissturm" oder auch die Vater-Tochter-Sympathien in Stephen Frears‘ "Snapper", der beherzten Dubliner Komödie um eine ungewollte Schwangerschaft. Einen aufschlußreichen Zugang zum fernöstlichen Kino eröffnete der Kulturanthropologe Klaus Peter Köpping, der mit Filmszenen von Ozu und Mizoguchi in japanische Sitten und Seelenlagen einführte: Winzige Durchbrechungen von Regeln gewinnen verwegene Bedeutung in einer von Ritualen beherrschten Gesellschaft, die intime und eigenwillige Äußerungen in trinkfrohen Freundesrunden, nicht aber in Ehe und Familie vorsieht.

Drei Generationen umspannt der taiwanesische Regisseur Edward Yang im epischen Kosmos, den sein Meisterwerk "Yi Yi - A One and a Two" entwirft: traditionsbewußtes Familien-Porträt und modernes Taipeh-Panorama zugleich. Charakteristisch für die Familie sind divergierende Bestrebungen, Aus- und Aufbrüche der einzelnen Mitglieder, und doch gibt es immer wieder Zusammenhalt und Kontinuität. So sprechen alle zur Großmutter, die in der Wohnung des Sohnes im Koma liegt, als ruhender Pol und Sammelpunkt beunruhigender Geständnisse. Zwischen Hochzeit und Todesfall, Wirtschaftskorruption und Lebenskrisen taucht ein Knirps auf als alter ego des Regisseurs. Mit seiner ersten Kamera nimmt der Kleine jeden Freund so auf, wie der sich nicht kennt, - von hinten. Es lohnt sich, gefilmt zu sehen, was man sonst nicht ohne weiteres sieht.