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6.6.2003
Das Kino als Instrument von Erinnerung und Aufklärung
von Ulrich Gregor

Ulrich Gregor hat im Rahmen des diesjährigen Deutschen Filmpreises einen Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den deutschen Film erhalten. Seine Dankesrede wurde von der ARD, die die Veranstaltung übertrug, nicht gesendet. Die ARD ist für diese Entscheidung scharf kritisiert worden. Wir dokumentieren im folgenden Ulrich Gregors Text.

Worte zum "Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den deutschen Film"

Ich bedanke mich für diese Auszeichnung. Ich verstehe sie als Anerkennung für bisher geleistete Arbeit, vielleicht auch als ein Zeichen der Hoffnung oder der Ermutigung für eine bestimmte Filmarbeit, die sich abseits des Mainstreams vollzieht, und für eine bestimmte Art von Kino, das oft in Opposition zu ihm steht.

Wir brauchen in Deutschland, ich will es gar nicht leugnen, auf der einen Seite Filme, die Qualität mit Publikums-Appeal verbinden, gelegentlich haben wir ja auch solche. Aber wir brauchen auch Filme, die an der Entwicklung der Formsprache des Kinos arbeiten, neue Horizonte, neue Erfahrungen und neue Genres erschließen, die nicht primär gemacht werden, um ein maximales Einspielergebnis zu erzielen, sondern deshalb, weil ein Filmemacher oder Autor das Thema oder die Formsprache, um die es geht, unbedingt zum Ausdruck bringen muß, aufgrund seiner persönlichen Überzeugung. Wenn wir solche Filme aus unserer filmischen Landschaft ausschließen, dann verödet und verkümmert unsere gesamte Kinematographie.

"Verdienste um den deutschen Film" - ich muß hierzu bemerken, daß ich niemals einen Unterschied zwischen deutschem und internationalem Film gemacht habe, daß mein Interesse und meine Bemühungen immer dem Kino auf der ganzen Welt gegolten haben. Dem Kino als Instrument von Erinnerung und Aufklärung.

Am Anfang bin ich und sind wir mit dem deutschen Film der Nachkriegsjahre recht stiefmütterlich umgegangen, in der "Geschichte des Films", die ich 1962 mit Enno Patalas zusammen geschrieben habe, wurden dem Kino der Ära Adenauer gerade mal zwei Seiten gewidmet. Aber ich glaube, solche Schärfe der Beurteilung war damals und ist heute noch notwendig.

1963 dagegen, als wir mit der Arbeit der Freunde der Deutschen Kinemathek begannen, zeigten wir (d.h. die Freunde der Deutschen Kinemathek) zusammen mit dem historischen WACHSFIGURENKABINET von Paul Leni auch Kurzfilme der jungen Regisseure, die gerade das Oberhausener Manifest unterzeichnet hatten, wir haben das Programm jüngst wiederholt, zu unserem 40. Jubiläum, und die deutschen Kurzfilme von damals, besonders Alexanders Kluges LEHRER, Edgar Reitz' GESCHWINDIGKEIT und Strobel/Tichawskys NOTIZEN AUS DEM ALTMÜHLTAL sind heute so lebendg wie damals.

Meine eigene Arbeit war, solange ich zurückdenken kann, immer dadurch begünstigt, daß es um mich herum ein Feld von Freunden, Mitarbeitern und Gleichgesinnten gab. Anfangs war es die Zusammenarbeit mit Enno Patalas und dem Kreis der Autoren der Zeitschrift "Filmkritik". Dann waren es 1963 die ersten Mitglieder und Mitarbeiter des Vereins Freunde der Deutschen Kinemathek. Und so ging es weiter mit der Eröffnung des Kinos Arsenal 1970 in der Welserstraße in Schöneberg und ab 1971 mit dem Internationalen Forum des Jungen Films, das die Berlinale aus der Krise gerettet hat und für das ich 31 Jahre lang verantwortlich war. Immer standen neben mir Freunde und Mitarbeiter, das Feld der Freundschaften, die wir durch Film gewonnen hatten, ging schließlich um die ganze Welt. Ich kann hier unmöglich Namen nennen, mit einer Ausnahme: meine Frau Erika Gregor, bei der ich mich bedanken muß, die mir von Anfang an zur Seite stand und ohne die ich auch heute hier nicht stehen würde.

Wir haben uns von Anfang an als einen Club der Enthusiasten verstanden, als eine Initiative der Graswurzeln, unser Motto war: erst einmal anfangen, die Unterstützung wird schon noch kommen. Insgesamt sind wir damit gut gefahren, obwohl der Weg manchmal steinig war. Auch heute sind wir trotz gewisser Anerkennungen keineswegs auf Rosen gebettet, vielmehr stets bedroht von Krisen und Katastrophen aller Art. Projekte, die wir vorbringen und die wir für fundamental wichtig halten, stoßen auf taube Ohren. Wir müssen sie mit abenteuerlichen Methoden, eine davon ist die Selbstausbeutung, gleichwohl zustandebringen. Alles in allem, glaube ich, beweist das aber, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden.

Zum Schluß möchte ich ein kurzes Zitat von Pier Paolo Pasolini zu Gehör bringen, das für mich den Wert einer persönlichen Maxime hat, aber auch und gerade im Hinblick auf die Debatten, die gegenwärtig geführt werden, eine Orientierung sein mag oder mindestens gehört werden sollte.

Pasolini antwortete 1970 in einem Interview auf die Frage: "Welche Funktion schreiben Sie dem Cineasten in der heutigen Gesellschaft zu ?" folgendermaßen:

"Die Funktion des Cineasten in der heutigen Gesellschaft ist diejenige, bis ins letzte Cineast zu sein. Die Funktion des Cineasten besteht in seiner Strenge, und seine Strenge ist formal."

Und auf die Frage: "Der 'neue Film' teils sich stets in einer neuen Sprache mit, die oft hohe Anforderungen an das Erfassungsvermögen des Zuschauers stellt. Besteht hierin nicht eine Gefahr, daß dieser Film elitär wird ?"

Pasolinis Antwort lautete: "Filme für eine Elite zu drehen (die neuen Eliten, die sich in Europa in den vergangenen Jahren gebildet haben) ist nicht ein Risiko, sondern eine Pflicht. Die wahre Antidemokratie ist die Massenkultur: ein Autor ist also demokratisch, wenn er sich weigert, für die Massenkultur zu arbeiten, und wenn er sich 'absondert', indem er für Menschen aus Fleisch und Blut arbeitet."

6. Juni 2003