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11. Juni 2004
22. Arnoldshainer Filmgespräche - "Außer Kontrolle"
4.-6. Juni 2004

Der verborgene Affekt
Die Arnoldshainer Filmgespräche diskutieren "Wut im Film"

Karsten Visarius

Auf seinem Fußweg nach Hause durch das unter sommerlicher Hitze stöhnende Los Angeles hinterlässt ein arbeitsloser Raketenspezialist eine Spur der Zerstörung. Als pathologischer Gewalttäter wird er zuletzt erschossen, von einem Polizisten, der alle Demütigungen zu schlucken gelernt hat. Die harmlose Wasserpistole, die das Opfer im finalen Showdown aus der Tasche zieht, verrät, dass sein Tod einem sei's grotesken, sei's tragischen Missverständnis entspringt. Denn der Film FALLING DOWN von Joel Schumacher hat zuvor die Geschichte eines Mannes erzählt, der nichts anderes tut, als sich gegen die aggressiven Zumutungen einer urbanen Zivilisation zur Wehr zu setzen. Weil er die Ordnung des Alltags nicht hinnimmt, sondern seiner Wut Ausdruck verleiht, wird er mit bestem Gewissen hingerichtet.

Wut ist ein gefährlicher Affekt. Sie ist der Prototyp verdächtiger Gemütsbewegungen, die zu beherrschen jedermann abverlangt wird. Die Destruktivität der Wut gefährdet jede Form sozialen Zusammenlebens. Nur Kinder dürfen sich ihr hemmungslos hingeben. Wenn Erwachsene sich der Wut überlassen, gelten sie als kriminell oder krank, mindestens als mangelhaft sozialisiert. Am Extremfall des Amoklaufs, wie er sich in den Schulmassakern von Littleton oder Erfurt ereignet hat, kristallisiert sich die Furcht vor einem Affekt, der außer Kontrolle geraten ist. Die medial verbreiteten Schreckensszenarien provozieren allerdings auch Fragen nach einem Zustand, der in einem jedes Verständnis übersteigenden, sinnlosen Blutbad mündet.

Solche Fragen bildeten den Hintergrund der 22. Arnoldshainer Filmgespräche zum Thema "Außer Kontrolle – Wut im Film". Die vom Filmkulturellen Zentrum des GEP und der Akademie Arnoldshain getragene Veranstaltung richtete den Blick auf eine elementare Erfahrung, die aus der öffentlichen Wahrnehmung und der gesellschaftlichen Reflexion weitgehend verbannt erscheint. So sehr Gewalt die Öffentlichkeit erregt, so wenig will sie sich Rechenschaft über ihre psychische Innenseite, den Affekt der Wut, ablegen. Sanktion und Prävention bestimmen die Debatte. Allen Strategien der Verhinderung, Bestrafung und Verleugnung zum Trotz lässt sich das Phantom der Wut dennoch nicht bannen.

Im Kino hingegen ist die Gewalt gleichsam zu Hause – ohne Schaden anzurichten, zunächst jedenfalls. Die Arnoldshainer Filmgespräche stellten die These zur Debatte, diese Affinität zur Gewalt nicht als Makel zu verstehen, sondern als wieder und wieder genutzte Gelegenheit zur Inszenierung eines verdrängten Affekts, die einer mächtigen anthropologischen Erbschaft eine Bühne bietet. Das Kino, so demonstrierte der Vortrag des Literatur- und Medienwissenschaftlers Michael Wetzel, setzt damit eine jahrhundertealte Tradition einer "theatralischen", nach außen gekehrten Darstellung der Wut in den Künsten fort, in der Literatur, in Malerei und Plastik, im Drama. Wut, so ließe sich schon an Kindern lernen, ist auch Theater, das gebieterisch nach Anerkennung verlangt.

Wut erschöpft sich nicht in Gewalt, so wenig wie das erotische Begehren in Sexualität. In AGUIRRE ODER DER ZORN GOTTES von Werner Herzog ergießt sich die Wut in eine ungreifbare Leere, in ein schieres Phantasma.  Der Film porträtiert den Typus des europäischen Eroberers, des Conquistadors, der voller Hybris eine neue Welt unterwirft und dabei die Selbstzerstörung nicht scheut. Der Held, gespielt von dem notorischen Choleriker Klaus Kinski, identifiziert sich in seiner Skrupellosigkeit mit dem Zorn Gottes. Der Theologe Werner Schneider-Quindeau, Vorsitzender der Evangelischen Filmjury, interpretierte diese Figur als einen fundamentalistischen Terroristen, der die Begrenzung menschlicher Wut durch den strafenden Zorn Gottes nicht respektiert.  Er erinnerte damit an einen Glauben, der sowohl einer Instrumentalisierung wie einer Verharmlosung Gottes widerspricht, an ein Gegenüber, das auch der Wut Halt bietet. Ohne diesen Halt, so sein Fazit, sucht die in unsere Zivilisation eingeschriebene Wut uns immer wieder heim.