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10. Juni 2007
Was der Himmel erlaubt
Jubiläumstagung der „Arnoldshainer Filmgespräche“ zum Kinomelodram

Darf eine verheiratete Frau der amerikanischen, weißen Mittelschicht einen schwarzen, verwitweten Gärtner lieben? Ein Mann einen Mann? Ein Krankenpfleger seine komatöse Patientin? Im Kinomelodram werden diese Fragen stürmisch bejaht (so in Todd Haynes' "Dem Himmel so fern", in Ang Lees "Brokeback Mountain" und in Pedro Almodovars "Sprich mit ihr"). Zeitumstände und soziale Konventionen, Sittengebot und moralische Gewissheiten sagen oft genug Nein. Wenn der exemplarische Melodramenregisseur der Filmgeschichte, Douglas Sirk, einem seiner Klassiker den Titel gab: „All That Heaven Allows“, so wird man ergänzen müssen: leider nur der Himmel. Im Zusammenstoß zwischen  Gefühlsüberschwang und Verzicht, zwischen Verlangen nach Erfüllung und erzwungener Selbstverleugnung entsteht jenes Pathos, das wenigstens im Kino das Publikum zu Tränen rührt. Von den Vernünftigen und Tüchtigen verlacht und als sentimentale Verirrung geschmäht, gibt das Kino diesen Tränen immer wieder recht.

„Das Gefühl der Gefühle – Zum Kinomelodram“: dieses Thema hatten die Veranstalter, die Evangelische Akademie Arnoldshain und das Filmkulturelle Zentrum im GEP, für die 25. Arnoldshainer Filmgespräche gewählt. Sie setzten damit die Reihe der Tagungen fort, die in den vorangegangenen Jahren mit Lachen und  Staunen, Glück, Wut und Melancholie immer wieder die Rolle der Affekte im Kino hervorgehoben hatten. Inzwischen hat auch die Filmwissenschaft diese lange unterschätzte Thematik aufgegriffen. Dabei geht es auch, aber nicht nur um die Wirkung von Filmen. Die Gestaltung von Gefühlen im Kino, so der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser in Arnoldshain, spiegelt immer auch die Auseinandersetzung um die Grenze, die wir zwischen dem Bereich des Privaten und des Öffentlichen ziehen wollen. In den Gefühlsdramen des Kinos melden sich Ansprüche auf  Geltung, Partizipation oder Repräsentation, die noch keine politische Artikulation gefunden haben. Thomas Koebner, Filmwissenschaftler aus Mainz, hob hingegen die Rolle hervor, die das Kino in der Tradition der älteren Künste für das persönliche wie kulturelle Selbstverständnis der sonst unklar, dunkel und unaussprechlich bleibenden Gefühle übernimmt.

Mit einem Konzert des Cellisten Frank Wolff, mit einem Empfang und Festreden der Geschäftsführerin des Dachverbands der Filmwirtschaft (SPIO), Christiane von Wahlert, und der Kulturbeauftragten des Rates der EKD, Dr. Petra Bahr,  feierten die Veranstalter das Jubiläum der „Filmgespräche“. Dabei würdigte die Kulturbeauftragte, deren Festbeitrag krankheitshalber verlesen werden musste, die Arnoldshainer Tagungen als „einzigartig“ in der deutschen Kulturszene – nirgendwo sonst träfen die unterschiedlichsten Wissenschaftler und ein kulturinteressiertes Publikum seit 25 Jahren regelmäßig zusammen. Auf einer Veranstaltung über das Pathos der Gefühle war ein solches Lob eine fast schon nüchterne Feststellung.

Karsten Visarius