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11. Juni 2008
China kommt näher
Die 26. „Arnoldshainer Filmgespräche“ diskutieren das aktuelle chinesische Filmschaffen

China ist Medienthema, nicht nur wegen Olympia. Seine rasante ökonomische Entwicklung stellt die Dominanz des Westens schon geraume Zeit in Frage. Kulturell hat sich dieser Aufstieg bereits seit Mitte der achtziger Jahre in den internationalen Erfolgen des chinesischen Films angekündigt. Seit dem Goldenen Bären der Berlinale 1989 für Zhang Yimous „Das rote Kornfeld“ finden sich chinesische Regisseure regelmäßig unter den Preisträgern der internationalen Filmfestivals. Inzwischen ist die „fünfte Generation“ des chinesischen Kinos, neben Zhang Yimou prominent vertreten durch Namen wie Chen Kaige und Tian Zhuangzhuang, von einer jüngeren, „6. Generation“ abgelöst worden. Deren Filme waren Thema der 26. Arnoldshainer Filmgespräche, die von der Evangelischen Akademie Arnoldshain und dem Filmkulturellen Zentrum im GEP organisiert und von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt wurden.

Geeint wird die Generation der jüngeren chinesischen Regisseure durch die politische Desillusionierung nach dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz 1989. Statt politischen Utopien nachzuhängen, wenden sie sich den aktuellen Problemen einer Gesellschaft im Umbruch zu. So erzählt ein in Arnoldshain gezeigter Schlüsselfilm wie Jia Zhangkes „Still Life“, 2006 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, von den Folgen des Baus des gigantischen Drei-Schluchten-Staudamms am Yangtse. In einem Szenario von Abbruch und Untergang versinkt nicht nur eine alte Kulturlandschaft, sondern eine ganze Welt. Improvisierte Überlebensstrategien müssen das vertraute Beziehungsgefüge ersetzen, Heimatlosigkeit durchdringt den Alltag bis in elementare Wahrnehmungen hinein. Als absturzgefährdete Seiltänzer porträtiert der Regisseur seine Figuren. Ein bemerkenswerter Pragmatismus, der weder für Trauer noch Hoffnung Raum lässt, bringt sie Schritt für Schritt voran.

In den neuen chinesischen Filmen ist China alles andere als ein fremdes, exotisches Land. In einem breiten Spektrum von Ausdrucksformen haben sie sich, wie die „Filmgespräche“ demonstrierten, die Sprache des westlichen Kinos angeeignet. Auch ästhetisch und kulturell findet darin die Globalisierung ihren Niederschlag. Für viele Tagungsteilnehmer überraschend ist China uns näher gerückt als geahnt. Das birgt Herausforderungen und Chancen: für das Kino, für uns, aber auch für die chinesische Gesellschaft selbst.

Karsten Visarius