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Locarno

54. Filmfestival Locarno 2001
2.-12. August 2001

Festivalbericht 2001

Internationale oekumenische Jury: Corine Eugène (Frankreich), Dina Iordanova (Bulgarien), Marina Sanna (Italien), Paolo Tognina (Schweiz), Joachim Valentin (Deutschland), Ninfa Watt (Spanien)


Der Preis der Oekumenischen Jury Locarno 2001 geht an den Film:

L’Afrance, Alain Gomis, Frankreich 2001

Der junge Senegalese El Hadj studiert in Paris. Da seine Aufenthaltsbewilligung abgelaufen ist, steckt er in einem Dilemma: entweder er kehrt nach Afrika zurück oder er bleibt illegal in Frankreich. Er ist in Widersprüche gefangen. Einerseits will er nach Hause zurückkehren und seine erworbenen Kentnisse in den Dienst seines Landes Senegal stellen. Andererseits wünscht er, endgültig da zu bleiben, wo er sich wohl fühlt, und wird von seinen Überzeugungen und seinen unerfüllten Wünschen gequält: die Erinnerung an den Mann, der er früher war, an das Bild des Mannes, den er zu verkörpern hoffte und die Beobachtung des Mannes, zu dem er nun geworden ist. Wie kann es gelingen, sich der eigenen Person zu stellen, wenn man sich als Verräter fühlt? Zwischen existentiellen Fragen und Zweifeln über seine Identität begleitet >l’Afrance< während einiger Tage El Hadj auf seinem Irrweg durch Paris. Anhand der Hauptfigur geht der Regisseur Alain Gomis der Entwurzelung und den unbewussten Nachwirkungen des Kolonialismus nach. Er filmt oft Gesichter von sehr nahe und ist darauf bedacht, den psychologischen Verlauf der Migrationsgeschichte einzufangen. So führt dieses intensive Psychogramm bis an den Rand des Selbstmordes und zurück an die Wurzeln der eigenen Identität.


Der Spezialpreis der Ökumenischen Jury Locarno 2001 geht an den Film:

Promises, B.Z. Goldberg, Justine Shapiro, Carlos Bolado, USA / Palästina / Israel 2001

Wie leben die palästinensischen und jüdischen Kinder mit den Spannungen und gewaltätgen Auseinandersetzungen zwischen ihren Völkern? Was halten sie voneinander? Was trennt sie und was könnte sie wieder vereinigen? Diesen Fragen gehen Goldberg, Shapiro und Bolado in ihrem Porträt von sieben Kindern nach, die vom Konflikt im Nahen Osten betroffen sind. Die Filmschaffenden sind engagierte Beobachter – sie nehmen wahr wie sich soziale Vorurteile von einer Generation auf die nächste übertragen. „Promises“ über-rascht durch seine erfrischende Aufrichtigkeit ebenso wie durch die Klarsichtigkeit der Kinder, die ihre Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln beurteilen. Eine Begegnung zwischen den Kindern beginnt mit skeptischer Distanz und endet in einer Athmosphäre der erwachenden Freundschaft. In diesen friedlichen Stunden des Spiels und des Aus-tauschs werden vorgefasste Meinungen revidiert. Begegnungen zwischen Palästinensern aus den besetzten Gebieten und Israelis sind plötzlich möglich. Doch die neuen Freund-schaften müssen in Zukunft schwerwiegende Hindernisse und Absperrungen überwinden, damit sie gelebt werden können. >Promises< ist ein erstaunliches Zeitdokument, dank der Sensibilität der Autoren und dem Ernstnehmen der kindlichen Perspektiven. 

 

54. Filmfestival Locarno
Charles Martig, Flmbeauftragter Katholischer Mediendienst

Ökumenischer Preis der Kirchen an den französischen Film "L’Afrance”
Die neue Festivaldirektorin Irene Bignardi hat eine überzeugende Filmauswahl im internationalen Wettbewerb von Locarno präsentiert. Die ökumenische Jury prämiert aus dem Programm zwei Filme, die sich durch ihr sozialethisches Engagement auszeichnen:  den französischen Spielfilm >L‘Afrance< und den Dokumentarfilm >Promises<, der sich aus der Perspektive der Kinder dem israelisch-palästinensischen Konflikt annährt.
Die Handschrift der neuen Direktorin hat vor allem den internationalen Wettbewerb geprägt. Mit einem anspruchsvollen Programm von Erstlingswerken und einer gelungenen Mischung aus traditioneller Cinematographie und künstlerischem Experiment blieb der Wettbewerb bis zuletzt spannungsvoll. Aus der Perspektive der kirchlichen Filmarbeit ist vor allem die starke Tendenz zu sozialethischen Themen wichtig. Viele Filme setzten sich mit Fragen der Entwurzelung, der permanenten Migration und kulturellen Verschiebung auseinander. Der iranische Film >Delbaran< zeigt die Situation an der iranisch-aghanischen Grenze, die sich durch den Krieg in Afghanistan zu einer Zone der Migration entwickelt hat. Alain Gomis geht den Auswirkungen der Entwurzelung in >L’Afrance< nach und zeichnet ein intensives Porträt der Zerrissenheit eines Migranten zwischen Paris und Dakar. Der sympathische Wettbewerbsbeitrag >Non è giusto< von Antonietta de Lilla setzt sich aus der Perspektive der Kinder mit den geschiedenen und neu zusammengesetzten Familien in Italien auseinander. Viele Filme interessieren sich für die Krise  der Beziehungen; etwa Dominique Cabreras >Le lait de la tendresse humaine<. Hier steht eine Mutter im Mittelpunkt, die in einer postnatalen Depression ihre drei Kinder verlässt und damit den Vater in eine Krise stürzt. Die Zerbrechlichkeit der zwischenmenschlichen Bindungen ist im film noir >Love the Hard Way< ebenso präsent wie in der deutschen Sozialtragödie >Ich werde dich auf Händen tragen<.

Geschichte der Entwurzelung
Die internationale oekumenische Jury hat ihren Preis an Alain Gomis für >L’Afrance< verliehen. Der Franzose mit senegalesischen Wurzeln bearbeitet das Leben zwischen zwei Kulturen. Ihn interessiert die Zerrissenheit der afrikanischen Immigranten zwischen dem kämpferischen Ideal des Anti-Kolonialismus und dem faktischen Leben in Frankreich. Im Mittelpunkt der Erzählung steht der junge Senegalese El Hadj, der in Paris studiert. Da seine Aufenthaltsbewilligung abgelaufen ist, steckt er in einem Dilemma: entweder er kehrt nach Afrika zurück oder er bleibt illegal in Frankreich. Er ist in Widersprüchen gefangen. Einerseits will er nach Hause zurückkehren und seine erworbenen Kentnisse in den Dienst seines Landes Senegal stellen. Andererseits wünscht er, endgültig da zu bleiben, wo er sich wohl fühlt, und wird von seinen Überzeugungen und seinen unerfüllten Wünschen gequält. Die Jury zeichnet den Film aus, da er verschiedene Möglichkeiten erprobe, mit der schmerzhaften Entwurzelung umzugehen und Perspektiven der Hoffnung eröffne. “Die Jury würdigt die Originalität der filmästhetischen Sprache und den starken Appell des Films interkulturell zu denken und zu handeln.”

Kinder zwischen Palästina und Israel
Der Dokumentarfilm >Promises< ist ein aussergwöhnliches Zeitdokument. Aus der Sicht von Kindern halten die drei Filmschaffenden B.Z. Goldberg, Justine Shapiro und Carlos Bolado den Zeitraum von 1997 bis 2000 fest. Mit einem aussergewöhnlichen Engagement bringen sie jüdische und palästinensische Kinder miteinander ins Gespräch. >Promises< zeigt, dass ein zukünftiges Leben in Frieden in solchen Versuchen des wechselseitigen Kennenlernens wurzeln könnte”, hält die Jury in ihrer Begründung des Spezialpreises fest. Der Film bewegt durch seine Nähe und Authentizität. Die Vision des Friedens ist durch die Zuspitzung  des Konflikts im nahen Osten umso dringlicher geworden.