Logo Interfilm.
Kontakt | Zurück | | deutsche Version english version francais (Extraits)
Berlin
Bratislava
Cannes
Cottbus
Fribourg
Karlovy Vary
Kiev
Leipzig
Locarno
Lübeck
Mannheim - Heidelberg
Miskolc
Montreal
Nyon
Oberhausen
Riga
Saarbrücken
Venedig
Warschau
Jerewan
Zlin
andere Festivals
Festivals Archiv
Berlin

Festival-Homepage

54. Internationale Filmfestspiele Berlin
5.-14. Februar 2004

ÖKUMENISCHE PREISE DER BERLINALE 2004

Die Mitglieder der Ökumenischen Jury :
Julienne Munyaneza (Rwanda, z. Zt. London), Marjorie Suchocky (USA), Oldrich Selucky (Tschechien), Frank Frost (USA), Lothar Strüber (Deutschland), Werner Schneider-Quindeau (Vorsitzender, Deutschland)

Die Jury vergibt Preise (und eventuell Lobende Erwähnungen) an Filme aus dem Wettbewerb (undotiert), dem Panorama (dotiert mit 2500.- € von der Deutschen Bischofskonferenz) und dem Forum des Internationalen Jungen Films (dotiert mit 2500.- € vom Rat der EKD). Die Jury verleiht ihre Preise an Filme von Filmschaffenden, denen es mit wirklicher künstlerischer Begabung gelingt, ein menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck zu bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder die Zuschauerin/den Zuschauer für spirituelle, menschliche oder soziale Fragen und Werte zu sensibilisieren.

Die Preisträger der Ökumenischen Jury der Berlinale sind:

Wettbewerb:

AE FOND KISS von Ken Loach, Großbritannien

Am Beispiel der Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann pakistanischer Herkunft und einer katholischen Lehrerin thematisiert der Film die kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Fronten, die es für ein gemeinsames Zusammenleben zu überwinden gilt. Ein überzeugendes Plädoyer für gegenseitige Akzeptanz und interkulturelle Verständigung.

Inhalt:
Casim Khan ist ein erfolgreicher DJ in Glasgow. Der Sohn pakistanischer Einwanderer legt in den angesagten Läden auf und träumt davon, eines Tages seinen eigenen Club zu eröffnen. Seine Eltern, Tariq und Sadia, sind streng gläubige Muslime. Fürsorglich und familienbewusst planen sie die Heirat Casims mit seiner Cousine Jasmine, die in Kürze in Glasgow eintreffen soll. Ihre Pläne drohen sich gründlich zu zerschlagen, als Casim Roisin kennen lernt, die Lehrerin seiner jüngeren Schwester Tahara. Roisin ist anders als alle anderen Mädchen, die Casim bislang kannte – sie sieht nicht nur umwerfend aus, sondern ist auch klug und besitzt ein gehöriges Selbstbewusstsein. Zwischen den beiden funkt es auf Anhieb. Doch Casim weiß nur zu gut, dass seine Eltern, ganz unabhängig von ihren Verheiratungsplänen, einer Ehe mit einer „goree“, einer Europäerin, niemals ihr Einverständnis geben würden. Roisin ist Katholikin; auch sie muss feststellen, dass ihre Umgebung ihrer Liebe eher skeptisch gegenübersteht und sie in keiner Weise unterstützt. Denn als ihre Angehörigen von ihrem Verhältnis mit Casim erfahren, hat dieser „Skandal“ erhebliche Folgen. Und als mit den unterschiedlichen Kulturen auch die verschiedensten Charaktere und Temperamente aufeinander stoßen, fliegen die Fetzen zwischen den Familien . . . Ken Loach: „Anfangs war die asiatische Community in Glasgow für mich eine fremde Welt. Ich musste aufmerksam hineinhorchen und viele Fragen stellen, um ein Gespür für sie zu entwickeln und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Sie werden sehen, dass die wesentlichen familiären Grundlagen unterschwellig dieselben sind – der Unterschied besteht darin, wie sie ausgedrückt werden.“ (Festivalkatalog)


Die Jury vergibt zusätzlich eine lobende Erwähnung an den Wettbewerbsbeitrag

SVJEDOCI (DIE ZEUGEN) von Vinko Bresan, Kroatien

Auf ausgezeichnete Weise setzt der Film künstlerische Mittel ein, um die moralischen Probleme in einer Kriegssituation darzustellen. Er zeigt, dass sogar in dieser Situation humanes Handeln möglich ist. Der einzige Weg zu einer friedlichen Zukunft gelingt nur dort, wo das Risiko übernommen wird, Leben zu schützen und sogar der Respekt gegenüber den Feinden als menschlichen Personen gewahrt bleibt.


Inhalt:
Als Jurica Pavišcícs Erstlingsroman (deutscher Titel: Nachtbus nach Triest) 1997 erschien, löste er in Kroatien rege Diskussionen aus: Zum ersten Mal hatte ein Autor eigene Kriegserfahrungen – Pavišcícs war 1992/93 selbst neun Monate lang Soldat – kritisch und ohne falsche Heldenpose literarisch verarbeitet. Sein Roman spielt 1992 in der Hafenstadt Split. Eine kroatische Einheit führt in der nahe gelegenen Herzegowina eine Sabotageaktion aus. Der Soldat Krešso soll sie durch ein Minenfeld führen, das er selbst vor einiger Zeit gelegt hat. Doch die Soldaten verlaufen sich und eine Mine explodiert. Krešso verliert ein Bein, zwei seiner Kameraden kommen ums Leben. Baríc, der Bruder eines der Getöteten, gibt Krešso die Schuld an dem Unglück. Nach langen Klinikaufenthalten kehrt Krešso nach Split zurück. Zwar findet er Arbeit, aber keinen Anschluss an seine alte Clique. Unterdessen verüben seine ehemaligen Kameraden unter Baríc’ Kommando einen Racheanschlag auf das angeblich leer stehende Haus eines serbischen Kaufmanns. Anders als erwartet ist der Mann jedoch zu Hause und wird erschossen. Die Attentäter entführen seine 11-jährige Tochter und halten sie in einer Garage gefangen. Durch Zufall erfährt Krešso von diesem Vorfall. Er kann einen der Entführer überreden, das Mädchen zu befreien und ihm zu übergeben. Er will sie zu Verwandten ins Ausland schicken. Doch dann ist Baríc den beiden Flüchtigen auf den Fersen . . .  (Festivalinformation)

 


Panorama:

MI PIACE LAVORARE (MOBBING) von Francesca Comencini, Italien

Der Film beschreibt eindrücklich das Leiden einer alleinerziehenden Frau, die an ihrem Arbeitsplatz ungerecht behandelt und dem Mobbing von Mitarbeitern ausgesetzt ist. Die Regisseurin betont auf herausfordernde und angemessene Weise das Recht auf Gerechtigkeit und menschliche Würde.

Interview mit der Regisseurin

Inhalt:
Anna ist Sekretärin. Vor kurzem wurde das Unternehmen, in dem sie arbeitet, von einem multinationalen Konzern übernommen. Während der Betriebsfeier, bei der mit den Mitarbeitern auf die Fusion angestoßen werden soll, ist Anna die einzige Angestellte, die vom neuen Direktor nicht persönlich begrüßt wird. Sie glaubt nicht, dass das irgendetwas zu bedeuten hat. Doch dann erweist sich diese kleine Nebensächlichkeit als der Auftakt einer wahren Tortur. Zunächst unmerklich, dann immer erbarmungsloser scheinen sich die Kollegen gegen sie zu verschwören: In der Mittagspause sitzt Anna plötzlich allein am Kantinentisch, niemand trinkt morgens noch einen Kaffee mit ihr, oder ihr Schreibtisch ist „versehentlich“ schon anderweitig vergeben. Dann verändert sich die Art ihrer Arbeit und sie muss plötzlich Aufgaben übernehmen, die doch eigentlich längst hinter ihr lagen – zum Beispiel Stunden neben dem Fotokopierer verbringen, was völlig sinnlos ist. Wenn sie darum bittet, sich nützlich machen zu dürfen, erhält sie beleidigende Antworten. Anna ist geschieden und Mutter einer Tochter. Sie und Morgana verstehen sich sehr gut. Jedenfalls war das bislang so. Doch dann bricht Anna unter den Demütigungen zusammen und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie hört auf, sich um Morgana zu kümmern. Dabei könnte die doch vielleicht ihre Rettung sein . . .  (Festivalinformation)


Internationales Forum des Jungen Films:

FOLLE EMBELLIE von Dominique Cabrera, Frankreich

„Folle embellie“ ist zugleich eine einfühlsame Geschichte und eine umfassende Metapher. Der Film setzt den Wahnsinn des Krieges gegen die Krankheit von geistig Behinderten und fragt nach den Möglichkeiten der Heilung durch gemeinsames Handeln und gelingende menschliche Beziehungen.

Informationen: http://www.berlin-judentum.de/kultur/berlinale/2004/folle.htm


Ich arbeite gern – Mi piace lavorare

Interview von Gianna Urizio mit Francesca Comencini


Francesca Comencini, die Regisseurin des schönen Dokumentarfilms “Carlo Giuliani, ragazzo” (Carlo Giuliani, ein Junge) schenkt uns einen weiteren Film. Einen Film, der in diesen ersten düsteren und zähflüssigen Jahren des dritten Jahrtausends, in denen die Ideologien, aber auch die Ideale – so scheint es - von der Logik des Marktes, die banal und zugleich brutal ist, begraben worden sind, uns an die engagierten Filme der siebziger Jahre erinnert. Gleichwohl ist die Sprache eine andere: intimer, weiblicher. Wo die Entscheidungen in Ökonomie und Markt sich in einer privaten Sphäre widerspiegeln, die gleichwohl politisch ist, macht er die existenzielle Dimension deutlich, in der wir uns alle, Frauen und Männer, wieder erkennen können. Ein Film gegen den Strom, der den Mut hat anzuklagen – das ist, Verzeihung, im Jahre 2004 nicht wenig.

Die Geschichte ist rasch erzählt: Anna ist eine Frau, die allein lebt mit ihrer Tochter: Morgana. Die Firma, in der sie als Sekretärin dritten Ranges arbeitet, ist von einem multinationalen Konzern aufgekauft worden. Am Tag des Betriebsfestes ist Anna die einzige, die von dem neuen Personalchef nicht spontan begrüßt wird. Ein banaler Unfall oder vielleicht auch nur ein Versäumnis. Dieser geringfügige Vorfall ist das erste Zeichen eines langen Prozesses, der für sie zu einem wahren Passionsweg wird. Langsam, aber unerbittlich wendet die Gruppe sich gegen sie. Die Schikanen beginnen klein, unscheinbar, aber sie wiederholen sich. Anna hält nicht mehr stand, und schließlich platzt sie: eine nervöse Erschöpfung, Krankheit. Sie kümmert sich kaum noch um Morgana, aber es wird gerade ihre Tochter sein, die ihr zur Seite steht und sie rettet. Anna schöpft wieder Mut und entschließt sich, jemandem ihre Geschichte zu erzählen und nicht mehr allein zu bleiben.

Ich habe Francesca Comencini bei einer Matinée – Aufführung des Films getroffen; an sie schloss sich eine lebhafte Debatte und eine erstaunliche Folge von Selbstzeugnissen über Mobbing an; sie wurden unter Qualen und gelegentlich mit äußerster Klarheit vorgetragen.

Aber Francesca hatten wir zuvor schon einmal getroffen: Vor einem Jahr war sie die Protagonistin eines Eröffnungsabends der protestantischen Filmvereinigung „Roberto Sbaffi“; er stand unter dem Titel: „Kunst, Wahrheit und Leben im Film“. Just damals sprach sie von diesem Projekt, das wir jetzt mit andächtiger Stille im Kino „4 Fontane“ in Rom anschauen.

G.U.: Was hat dich dazu gebracht, einen Film über Mobbing zu drehen?

 F.C.: Was mir am Mobbing auffällt, ist, dass man aufgrund von Beweggründen, die der Logik der Wirtschaft und des Marktes entsprechen, bis in die Intimsphäre einer Person vordringt, dass man in ihre Psyche eindringt und deren Gleichgewicht erschüttert. Aber das Motiv, einen Film zu machen, hat gezündet, als ich die Menschen getroffen habe, die Opfer von Mobbing geworden sind. Ich hätte mir niemals vorstellen können, wie viel Schmerz, Mühsal und ein wie starkes Gefühl der Unzulänglichkeit Mobbing erzeugen kann. Ich habe Menschen getroffen, deren Würde zerstört war. Beim größten Teil von ihnen hatte sich der Angstzustand körperlich ausgedrückt, auch ihr Aussehen hatte sich verändert. Die Männer schienen wie verrückt, rasend. Die Frauen weinten. Viele von ihnen begannen zu weinen, als sie Probleme in Bezug auf ihre Kinder ansprachen. Zielscheibe des Mobbing sind besonders die Mütter. Mutter zu sein gilt als eine Schuld in italienischen Unternehmen. Das „flexibelste Land der Welt“ hasst die Mütter.

G.U.: Wer hat am Zustandekommen von „Mi piace lavorare“ mitgewirkt? 

Dieser Film ist das Ergebnis von wirtschaftlichen Entscheidungen, die im Gleichschritt mit künstlerischen Erwägungen getroffen worden sind. Ich wollte den Film machen und nicht Jahre warten, bis ich starke Investitoren gefunden habe. Ich wollte den Film machen, um Zeugnis abzulegen – und damit basta. Also musste ich die Wahl treffen, einen Film zu geringen Kosten zu realisieren. Wir kannten die Geschichten von –zig Personen, wir verfügten über den Reichtum ihrer Menschlichkeit. Die Gewerkschaft war mein „casting director“. Sie hat mir viele, viele Menschen zugeführt, Angestellte, Arbeiter, Gewerkschafter, die auch ein wenig aus Überzeugung und dem Willen , Zeugnis abzulegen, an diesem Film über das Mobbing mitarbeiten wollten. Zudem ist es uns gelungen, auf die kostenfreie Mitarbeit der Schauspieler und teilweise auch der Techniker zurückgreifen zu können. Ich konnte über die Bereitschaft vieler Menschen verfügen, die gekommen sind, um im Film aufzutreten und sich dafür einige Tage von ihrer Arbeitsstelle frei genommen haben. Ihre Ferien bestanden darin, am Film mitzuwirken.

G.U.: Und Nicoletta Braschi, die Hauptdarstellerin?

F.C.: Auch sie hat in Gemeinschaft mit den anderen gearbeitet. Für die Rolle der Morgana habe ich meine Tochter Camilla gefragt, und sie hat zum Glück zugesagt. Ich hatte für diesen Film die schönste Rollenbesetzung, die ich mir erträumen konnte. Nicoletta war perfekt, tatsächlich perfekt. Wir haben uns verständigt, ohne miteinander reden zu müssen.

G.U.: Wie ist es dir gelungen, so viele Nebendarsteller zu beschäftigen?

F.C.:  Es handelte sich nicht um ein Drehbuch mit festgeschriebenen Dialogen. Ich habe vielmehr jeden gebeten, seine eigene Erfahrung einzubringen. Die Gruppe, die sich mehr als alle anderen mit der eigenen Rolle identifiziert hat, waren die Arbeiter. Einigen von ihnen ist etwas Ähnliches passiert, wovon im Film erzählt wird. Einige Gewerkschafter interpretierten die „Gegenseite“ und taten dies mit noch größerer Sachkenntnis. Nicoletta hat sich auf sie eingelassen mit einer erstaunlichen Natürlichkeit und auch mit viel Demut.

G.U.: Würdest du diesen Film als einen fiktionalen Dokumentarfilm (un docu-fiction movie) bezeichnen?

F.C.: Selbstverständlich gibt es in diesem Film eine Perspektive und eine Geschichte, denn er ist ein fiktionales Werk. Gleichwohl glaube ich, dass es auch in einem Dokumentarfilm eine Perspektive und eine Geschichte gibt. Bei den Dreharbeiten war ich es, die den Darstellern sagte, wo es langgehen sollte. Manchmal sagte ich es ihnen nicht und tat so, als würde es sich von selbst ergeben. Für das Gelingen war es nötig, auf die spielenden Personen gut zu achten. Das ist sehr schön und vielleicht das, was ich am besten kann: Die Menschen beobachten und verstehen. Das gefällt mir sehr. Mich an der Grenze zwischen Dokumentarfilm und Fiktion zu bewegen. Dort, wo das Kino sich nicht mehr oder viel zu selten hinbegibt, wo die ganze Bildfabrikation dem Fernsehen überlassen worden ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Wirklichkeit reich, intensiv und wunderschön ist. Aber um das wahrzunehmen, muss man sie lange und sehr aufmerksam betrachten.

G.U.:  Auf der Berlinale hat dein Film, der in der Sektion „Panorama“ lief, den Preis der ökumenischen Jury bekommen.

F.C.: Die Nachricht hat mich erreicht, als ich bereits zurück in Rom war. Dieser Preis hat mich glücklich gemacht. Das bedeutet, dass die eigentlich menschliche Dimension verstanden worden ist, die für den Film wesentlich ist über die wirtschaftliche Dimension hinaus, die jene bestimmt.

(Übersetzung aus dem Italienischen: Hans Norbert Janowski)