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Leipzig

48. Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm
3.-9. September 2005

Festivalbericht

Die Ökumenische Jury vergibt ihren Preis an den Film

L' Avenir (The Future) von Claudio Zulian (Spanien 2005)

Wie eine französische Kleinstadt durch den Verlust der ortsansässigen Arbeit stirbt, die Menschen aber weiterleben, zeigt der Schwarzweißfilm von Claudio Zulian. Streng komponiert in Bild und Ton verweist der kurze Film auf eine gegenwärtige gesellschaftspolitische Entwicklung. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Arbeit, innovativ erzählt, überzeugt die ökumenische Jury.

Die Ökumenische Jury beim Leipziger Filmfestival 2005, entsandt von INTERFILM und SIGNIS, bestand aus den Mitgliedern Daniel Kölliker (Schweiz), Johannes Horstmann, Christiane Thiel und Rita Weinert (Deutschland).

Inhalt:
Eine Kamera fährt durch eine Stadt. Beginnt auf einem Hinterhof, begibt sich ins Haus, durchquert enge Flure und das mit schäbigen Möbeln vollgestopfte Wohnzimmer. Auf dem Sofa sitzen in stummer Pose die Bewohner des Hauses, deren Stimmen aus dem Off zu hören sind. Sie reden über die Zukunft in einem Industrieort ohne Industrie, von Fabriken, die dicht machen und deren Sound wie eine Erinnerung im Hintergrund ertönt und sich verliert, von der Hoffnung, vielleicht doch wieder eine Arbeit zu finden, irgendwann. Von den Kindern, die woanders ihr Glück suchen und dem Wunsch, dass sie zurückkommen oder bleiben können. Während die Stimmen der Menschen noch da sind, entschwinden ihre Gesichter schon dem Blick, ist die Kamera auf dem Weg ins nächste Haus. Durchfährt öffentliche Plätze, menschenleere Straßen, ein Café, die Schule, ein Damenkränzchen, dringt in die Viertel der Bessergestellten vor. Hier gibt es Weite, stilvolles Interieur und kaum Kinder, hier redet man über Kultur. Die Kamerafahrt endet am Fluss. In seiner strengen Formgebung ist „L’Avenir“ zugleich eine Reminiszenz an die die Schwarz-Weiß-Sozialfotografie des 20. Jahrhunderts und ein polyphones Gemeindeporträt neuer Art. Meurchin liegt in Nordfrankreich. Meurchin könnte überall sein. (Festivalkatalog)

 

Ein guter Dokfilmjahrgang
Zur 48. Internationalen Dokumentarfilmwoche Leipzig
von Stefan Ruwoldt, Leipzig

Als das 48. Internationale Dokumentar- und Animationsfilmfestival Leipzig zu Ende war, wusste Festivaldirektor Claas Danielsen nicht so recht, ob er zufrieden oder enttäuscht sein sollte. Zwar war es dem noch jungen Direktor im zweiten Jahr seines Vorsitzes gelungen, die Dok Leipzig, wie sie nun kurz heisst, für Fachbesucher aus der Film- und Fernsehbranche attraktiver zu machen, doch dafür hielten sich die Zuschauer zurück. Der seit Jahren anhaltende jährlich wachsende Besucherzuspruch war in diesem Jahr spürbar zurückgegangen. Danielsen führte dies auf die noch fehlende Studentenschaft in der Stadt zurück. Den ursprünglich für später – und damit erst nach Beginn des Semesters – vorgesehene Termin hatte er mit Rücksicht auf die Fernsehmesse in Cannes auf Anfang Oktober und damit vor den Vorlesungsstart verlegt. Enttäuscht war er also über den Zuschauerzuspruch, zufrieden konnte er mit dem Filmangebot sein. Es war ein guter Dok- und Animationsfilmjahrgang.

Die Vielfalt des Filmangebots bestätigten die unterschiedlichen Jurys mit der Vergabe der Preise, die bis auf wenige Ausnahmen an ganz unterschiedliche Filme gingen. So prämierte die Ökumenische Jury, bestehend aus je zwei Vertretern von Institutionen der Katholischen und der Evangelischen Kirche, den Film des Spaniers Claudio Zulian „L’Avenir“ (The future), der zudem mit der Silbernen Taube für die kurzen Dokumentarfilme ausgezeichnet wurde. Im Film sprechen die Bewohner des nordfranzösischen Meurchin über ihre Zukunftsperspektiven und die Entwicklungen in dem durch den Niedergang der Industrie geprägten Städtchen. Man müsste nicht denken, der Preis der Ökumenischen Jury gehe automatisch an einen Film, in dem ein Kirchturm und ein Priester vorkämen, erklärte Jurymitglied Rita Weinert. Christiane Thiel, Leipziger Stadtjugendpfarrerin und ebenfalls in der Ökumenischen Jury sagte zur Begründung: „Im Film sprechen die Menschen ohne Resignation aber mit der in vielen deindustrialisierten Gegenden typischen Sorge über die Folgen der strukturellen Veränderungen und des demographischen Wandels.“

Die Hauptpreise des Festivals, die Goldenen Tauben, gingen an die deutsch-litauische Koproduktion „Before Flying back to the Earth“ (langer Dokumentarfilm) des Regisseurs Arunas Matelis, einen Film über den Alltag auf einer Kinderkrebsstatiion, an „For a Miracle“ (kurzer Dokumentarfilm), der Beschreibung einer Pilgerfahrt Behinderter aus dem polnischen Katowice nach Lourdes, sowie an den Animationsfilm „Mississippi“ des Österreichers Arash T.Riahi. Für Diskussion im und vor dem Kino sorgte Tamara Miloseviczs mit dem im deutschen Wettbewerb gestarteten und von der deutschen Jury mit dem „CinemaNet Europe Award“ ausgezeichneten Dokumentarfilm über die Familie des 17-jährigen Matthias aus Potzlow. Matthias hatte im Juli 2002 die Leiche eines von Jugendlichen aus dem Dorf zu Tode gefolterten Jungen entdeckt und kämpft seitdem mit den Vorwürfen seiner Mitschüler, er sei ein Verräter.

Der Film von Philipp Gröning „Die grosse Stille“, eine Dokumentation über den Alltag in einem Karthäuserkloster nahe Grenoble, blieb bei der Prämierung unberücksichtigt. Das war mit Sicherheit auf dem Umstand geschuldet, dass der Film, der vor Leipzig auch schon auf Festivals in Toronto und Venedig sehr erfolgreich lief, anders als das Gros der in Leipzig gezeigten Filme mit X-Filme bereits einen Verleih und einen Starttermin Anfang November hat. In „Die grosse Stille“ folgt Gröning mit seiner Kamera den Mönchen in ihrem Alltag in einem Schweigekloster. Gröning sagte, er habe mit seinem Film einen deutlichen Gegenentwurf zu den im Fernsehen gängigen Dokumentationen schaffen und mit seinen Bildern die Ruhe und Ausgeglichenheit der Mönche in ihrer Einkehr darstellen wollen. Dass ihm dies gelang, dokumentiert unter anderem das Vertrauen von X-Filme, „Die grosse Stille“ in voller Länge – 164 Minuten – in die deutschen Kinos zu bringen.

Die im vergangenen Jahr gestartete Reihe „Dok on Tour“ bringt auch in diesem Jahr ausgewählte Filme aus dem Animations- und Dokumentarfilmprogramm in die mitteldeutschen Kinos nach Dresden, Halle, Weimar und Berlin.

Stefan Ruwoldt in: DER SONNTAG- Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, 60.Jahrgang, Nr. 42 vom 16.Oktober 2005, S.13

www.dokfestival-leipzig.de