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Cannes

55. Filmfestival Cannes
 15.-26. Mai 2002

>Festivalbericht 

Mitglieder der Jury:
Anca Berlogea (Rumänien), Präsidentin, Michèle Debidour (Frankreich), Julia Helmke (Deutschland), Bruce Girard (Canada), Ezio Alberione (Italien)


Der Preis der Oekumenischen Jury geht an den Film:

Der Mann ohne Vergangenheit (Mies vailla menneisyyttää) von Aki Kaurismäki, Finnland 2002

Begründung der Jury: "Der Film, durchstrahlt von Zärtlichkeit und Humor, ist eine Parabel über die Wiedergeburt eines Menschen und die Geburt einer Gemeinschaft. In drastische Armut gestoßen, entdeckt ein Mann ohne Vergangenheit Solidarität und findet tapfer seine Würde. Die Ästhetik von Aki Kaurismäki lässt einen Moment der Gnade lebendig werden".


Lobende Erwähnungen:

Le fils (Der Sohn) von Jean Pierre Dardenne und Luc Dardenne

Begründung der Jury: "Ein Film voller Menschlichkeit über die schmerzhafte Überwindung der Rache. Er gibt einen Einblick in die Lehrjahre eines Berufs und einer Beziehung. Seine expressive Intensität spricht den Zuschauer stark an".


L'ora di religione
(Die Religionsstunde) von Marco Bellocchio

Begründung der Jury: "Dieser Film drückt den modernen Zeifel an der Existenz Gottes aus. Die Hauptfigur, die allen Kompromissen widersteht, verkörpert die Suche nach Identität und Wahrheit".

 

 

55. Internationales Filmfestival in Cannes: Ökumene und drei kirchliche Filmpreise
Bericht von Julia Helmke

Cannes ist ein Name, ein kleiner französischer Hafenort, der einmal im Jahr für zwölf Tage das Interesse von Medien aus der ganzen Welt auf sich zieht, ein Festival, das sich seit 55 Jahren als Höhepunkt der 7. Kunst, des Cinemas, feiert, ein kulturelles Ereignis, das Kultur, Show und Kommerz miteinander verbindet. Cannes ist ein Gewirr von Sprachen, Geschichten und Bildnern von Stars, die im Blitzlichtgewitter über den roten Teppich die Stufen zum Kinoeingang hinaufschreiten, ein Grossanlass für Tausende von Journalisten, die sich um Interviews balgen. Cannes steht für Filme, die befremden, betören, erheitern und verstören.

Seit 1952 bildet eine internationale kirchliche Jury Bestandteil dieses Festivals, offiziell eingeladen von der Direktion in Cannes. Das mag auf den ersten Blick überraschen und war auch lange Jahre bei beiden Dialogpartnern - Film und Kirche - umstritten. Die kontinuierliche Präsenz eines christlichen Blicks auf die zu prämierenden Filme verdankt sich denn auch einem unermüdlichen Engagement der beiden kirchlichen Filmorganisationen Interfilm und OCIC/Signis sowie dem ethischen und humanistischen Grundimpuls des Filmfestival.

Gegründet wurde das Filmfestival Cannes 1946 als eine Reaktion auf den 2. Weltkrieg und die mediale Manipulation der Massen. Keine geschichtliche Last, kein politisches Zentrum sollte den Beginn erschweren, sondern Cannes wollte kultureller Ort der Verständigung, der Freundschaft und der weltweiten Zusammenarbeit werden - oder, wie Jean Cocteau es beschrieb - ein Mikrokosmos, der zeigt, wie die Welt sein könnte, wenn Menschen miteinander direkt kommunizieren und die gleiche Sprache sprechen, diejenige des Filmes.

Das sind die Inhalte und Werte, die das Gespräch über die Einrichtung einer kirchlichen Jury erleichterten. Die ersten Jahre prägten die Mitglieder einer jährlich wechselnden Jury, die von der katholischen Internationalen Filmorganisation OCIC entsandt wurde. Ab 1969 vergab auch die protestantische Interfilm-Jury einen kirchlichen Filmpreis. Dieses Nebeneinander der beiden kirchlichen Jurys wurde mit den Jahren immer mehr zum Miteinander. Als 1973 beide Jurys bei einer festlichen Seance im Festivalpalais nacheinander denselben Siegerfilm bekannt gaben, beschlossen die Präsidenten ab sofort als gemeinsame kirchliche Jury zu fungieren. Ökumene praktisch. Seitdem werden von beiden Organisationen insgesamt sechs Theologen, Filmjournalisten, Regisseure u.a. ausgewählt, wenn möglich mit einer Balance in Geschlecht, Alter, Erfahrung und Herkunft. Sie wohnen gemeinsam, treffen sich alle zwei bis drei Tage, um über die ca. 40 zu bewertenden Filme zu diskutieren, und geben die Entscheidung des Grand Prix Oecumenique in Anwesenheit des Festivaldirektors oder seiner Stellvertreterin kurz vor der Bekanntgabe der Goldenen Palme bekannt. Die Kriterien zur Auswahl sind bewusst offen gehalten. Über den hohen ästhetischen Wert hinaus, an dem sich die Grand Jury orientiert, soll von der Ökumenischen Jury auf Filme aufmerksam gemacht werden, "die menschliche und ethische Qualitäten behandeln, die die spirituelle Dimension der eigenen Existenz berühren; die einen Schwerpunkt legen auf Fragen von Gerechtigkeit, Würde des Menschen, Frieden und Solidarität; die in der jeweiligen Kultur verankert sind und dennoch eine universale Aussage beinhalten; die getragen von der biblischen Botschaft Hoffnung vermitteln können." Dass sich die Entscheidung der offiziellen Jury bisher bereits viermal mit derjenigen der Ökumenischen Jury überschnitten hat (zum Beispiel bei "Paris, Texas" von Wim Wenders, "Die Ewigkeit und ein Tag" von Theo Angelopoulos, "Secrets and Lies" von Mike Leigh) spricht wohl eher für als gegen die getroffene Auswahl und bestätigt den Dialog zwischen Kirche und Film.

Und in diesem Jahr? Die angespannte politische Situation spiegelte sich in der Auswahl von Filmen wider, die in ihrer Mehrzahl sublim oder offensichtlich von den Themen Gewalt, Trauerbewältigung, politische und religiöse Spannungen geprägt waren, wie zum Beispiel der Siegesfilm der Jury "Divine Intervention" des Palästinensers Elia Suleiman oder der in Italien umstrittene Film "d'ora della religione / La sorresa die ma madre" (Die Religionsstunde / Das Lächeln meiner Mutter), der von der Ökumenischen Jury 2002 mit einer lobenden Erwähnung für sein beharrliches In-Fragestellen von Glaube und Ideologie bedacht wurde.

Ein Mann, der bei der Ankunft in einer Stadt nachts fast zu Tode geprügelt wird, beginnt - ohne sich seiner Vergangenheit erinnern zu können - ein neues Leben, vielleicht zum ersten Mal ein wirkliches Leben, ein Leben in Gemeinschaft. Der mit deutschen Mitteln koproduzierter Film des Finnen Aki Kaurismäki "Der Mann ohne Vergangenheit" gewann neben dem Grand Prix der offiziellen Jury auch den diesjährigen Preis der Ökumenischen Jury. In der Begründung dazu heisst es: "Dieser Film, voll von Zärtlichkeit und Humor, ist ein Gleichnis über die Wiedergeburt einer Person und die Geburt einer Gemeinschaft. Sich in extremer Armut wiederfindend begegnet der Mann ohne Vergangenheit Solidarität, ein Leben in Würde kann sich entwickeln. Die Ästhetik von Aki Kaurismaki lässt einen Moment von Gnade spürbar werden."

Julia Helmke, München, ist Pfarrerin und Mitglied von Interfilm