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Cottbus

XII. Festival des osteuropäischen Films
vom 30. Oktober - 3. November 2002

Die Oekumenische Jury: Lothar Strüber (Deutschland), Bo Torp Pedersen (Dänemark), Dorothea Schmitt-Hollstein (Deutschland), Jacek Borzych (Polen)

Der Preis der Oekumenischen Jury geht an den Film:

Slepa Pega/Blind Spot/Blinder Fleck von Hanna A.W. Slak, Slowenien 2002

Die Regisseurin und Drehbuchautorin zeigt in düsteren Bildern, aber auf sehr sensible Weise den verzweifelten Versuch einer jungen Frau, ihren AIDS-kranken Bruder beizustehen. Der Film fordert dazu auf, über ein Sterben in Würde nachzudenken.
 

Manchmal sind Wunder nötig

Das Festival in Cottbus - nur etwas für den Osten?
von Dorothea Schmitt-Hollstein, Karlsruhe

Jäh stoppt die Autoschlange - auf der einsamen Landstraße versperrt ein Baum die Weiterfahrt. Starke Männerarme und gute Worte richten nichts aus. Als ein Lastwagen beim Wenden stecken bleibt, gibt es auch kein Zurück mehr. Nach vergeblichem Warten auf Hilfe richtet man sich ein. Die Dozentin verpasst ihren Vortrag beim Kommunikationsseminar, aber die für die Veranstaltung vorgesehene Verpflegung reicht für ein Picknick. Die Gestrandeten kommen sich näher. Am anderen Morgen ist der Baum plötzlich verschwunden...

Das amüsante Mirakelfilmchen des 24jährigen Tschechen Marko Simic, >Auf der Straße (Na Ceste)<, bekam beim 12. Internationalen Filmfestival Cottbus, anders als zuvor in München, nicht einmal eine Lobende Erwähnung. Die Juroren waren in der "langen Nacht der kurzen Filme" wohl schon zu müde. Bei der Heimreise gen Westen enthüllte sich allerdings unvermutet ein "wunderlicher" Bezug: Von der einst so bewehrten Zonengrenze, die der Nation quer im Weg lag, ist vom Zug aus nichts mehr zu sehen - sie ist spurlos verschwunden.

Die Kommunikationsprobleme sind jedoch geblieben: Für das Schaufenster des osteuropäischen Films interessieren sich auf westlicher Seite, wie die Liste der deutschen Gäste verriet, allenfalls noch Berliner. Die Ostdeutschen nutzen die Chance, mit so vielen Filmemachern aus Ländern jenseits der Grenze zusammenzutreffen, hingegen zu Recht weidlich aus. Auch die Bevölkerung, vor allem die junge, die ihr einziges Innenstadtkino "Weltspiegel" vor einigen Jahren schmählich sterben ließ, nahm an seiner viertägigen Wiederbelebung zum Festival großen Anteil.

In diesem Jahr stand das Filmland Polen im Mittelpunkt, im Rahmenprogramm wurde es so umfangreich präsentiert wie nie zuvor. Im Wettbewerb der zehn Spielfilme ging es allerdings leer aus. Für den Nachwuchs, der dazu in Cottbus mit den drei ersten kurzen oder langen Produktionen zugelassen ist, war die künstlerische Hürde sichtlich zu hoch. Dabei fehlte es nicht an guten Ideen,- die aus >Das Doppel-Porträt (Portret Podwojny)< von Mariusz Front (Jg. 1965) über die Probleme eines jungen Paares hätten gleich für mehrere Filme gereicht.

Wenn Arbeiten junger Filmemacher auf den inneren Zustand ihres Herkunftslandes schließen lassen, muss Russland gegenwärtig in Hoffnungslosigkeit versinken. Vorsichtshalber fernab von Moskau und deshalb unbehelligt hat Alexei Muradow (Jg. 1963) gedreht. Sein mit dem Spezialpreis für die beste Regie bedachter, künstlerisch streng komponierter Film >Der Drachen (Smej)< schildert in düsteren Bildern einen Tag im Leben eines Gefängnisbeamten, der sich als Henker anstellen lässt, um Geld für die Operation seines kleinen Sohnes zusammenzusparen: die Tragödie eines hart gewordenen Mannes und seiner zerstörten Familie.

Noch weniger Licht fällt in die gemietete Kammer, in der eine junge Frau ihren von einem Dealer bedrohten aidskranken Bruder versteckt, um ihm bis zum Tod beizustehen. Die aus Warschau gebürtige Hanna A.W. Slak (Jg. 1975) hat für den slovenischen Beitrag >Blinder Fleck (Slepa Pega)< in der Kamerafrau Karina Maria Kleszczewska eine ebenbürtige Partnerin gefunden, die die klaustrophobische Enge immer wieder aufbricht und Spuren von Hoffnung registriert. Die Oekumenische Jury honorierte mit ihrem Preis den Appell des Films, über ein Sterben in Würde nachzudenken. Der Don-Quijote-Preis der Filmclubs (FICC) bescheinigte den Filmemacherinnen "präzises, leises und trotziges Kino".

Junge Tschechen und Ungarn beschönigen Armut und Elend nicht, aber sie versuchen, mit viel Humor das Beste daraus zu machen. Das gilt für den Hauptpreisträger >Wilde Bienen (Divoke Vcely)<, eine harmlosen Komödie von Bohdan Slama (Jg. 1967) über schicksalsergebene Männer und rebellische Frauen. Gleich von drei Juries wurde der ungarische Filmerstling von Gyorgy Palfi (Jg. 1974), >Hukkle<, ausgezeichnet. Er betrachtet Natur und dörfliche Technik in berückend schönen Nahaufnahmen mit erfrischender Neugier und webt dabei spielerisch einen Krimifaden in seine Geschichte ein. Mag das auch nicht immer ganz zusammenpassen - >Hukkle< wäre ein Glanzstück für jedes Filmseminar, das junge Menschen mit ausdrucksstarker Bildsprache und Problemen von Drehbuch und Schnitt vertraut machen möchte.

Allen Sympathisanten von Wohltätigkeitslieferungen sei schließlich der rumänische Kurzspielfilm-Preisträger von Cottbus empfohlen: >Humanitäre Hilfe (Ajutoare umanitare)< von Hanno Höfer (Jg. 1967). In dieser sanften Satire werden drei Studenten, die einen angejahrten Zahnarztstuhl überbringen, in einer Umkehrung des Reisezwecks mit Liebe und Gastfreundschaft überhäuft - die Abschiedsgeschenke allerdings heimsen zum Schluss die rumänischen Zöllner ein.

Dr. phil. Dorothea Schmitt-Hollstein, geb. 1936, Filmkritikerin aus Karlsruhe, war Mitglied der Oekumenischen Jury in Cottbus. –
Aus:
medien praktisch 4/02 mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.