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Berlin

59. Internationale Filmfestspiele Berlin 2009
4.2.-15.2.2009

Festival-Homepage

>Ökumenischer Empfang | >Festivalbericht  | >Bericht zum Forum  |  >Cinema for Peace

Die Ökumenische Jury vergibt ihren Preis im Internationalen Wettbewerb an den Film:

Lille Soldat (Little Soldier/Kleiner Soldat)
von Annette K. Oleson, Dänemark 2008

Lille Soldat

Der Film macht uns vertraut mit den Problemen einer jungen Soldatin, ihren Weg von einem Friedenseinsatz zurück in ihr Alltagsleben zu finden. Nicht zuletzt ihr gewalttätiger Vater setzt einen schmerzhaften Klärungsprozess in Gang: Geschlechterrolle, Vater-Tochter-Beziehung und Menschenhandel. Der Film bietet keine einfachen Lösungen, aber am Ende erscheint die Perspektive eines selbstbestimmtes Lebens. Zurückhaltende Anspielungen auf ihre Kriegserfahrungen verbinden die im Auslandseinsatz erfahrene Gewalt dramaturgisch und schauspielerisch überzeugend mit der verborgenen aber realen Gewalt europäischer Gesellschaften.

Die Ökumenische Jury vergibt außerdem im Internationalen Wettbewerb Lobende Erwähnungen an:

London River
von Rachid Bouchareb, Algerien, Frankreich, Großbritannien 2009

Der algerische Regisseur zeigt die Begegnung einer christlichen Mutter mit einem muslimischen Vater. In den Tagen der Londoner Bombenattentate 2005 fürchten sie um das Leben ihrer Kinder. Der Film erkundet, wie wechselseitige Vorurteile überwunden werden können und wie gegenseitiger Respekt inmitten einer Tragödie entsteht.

und an:

My One and Only
von Richard Loncraine, USA 2009

Dieses Road Movie durch die 1950er Jahre in den USA, beruhend auf einer wahren Geschichte, verbindet auf sehr intelligente Weise Humor und existentielle Fragen: wie findet man seinen Weg und was braucht man, um glücklich zu sein? Die ökumenische Jury hat die Leichtigkeit besonders geschätzt, die sich in traurigen und ausweglosen Lebensumständen als sehr belebend erweist.


Die Ökumenische Jury vergibt ihren Preis im Forum des Internationalen Jungen Films, dotiert mit 2.500 €, an den Film:

Treeless Mountain
von So Yong Kim, Südkorea 2008

Treeless Mountain

Im Fokus dieses koreanischen Films stehen zwei kaum schulreife Schwestern, die - von ihrer Mutter verlassen - einer alkoholkranken Tante ausgeliefert werden. Verloren in einer Welt, die ihre Verletzbarkeit übersieht, sind sie ganz auf sich selbst gestellt. Gerade weil  diese Geschichte aus der Perspektive der beiden Mädchen stimmig erzählt wird, macht er die Folgen von abwesenden Eltern, von verweigerter Verantwortung und von ökonomischer Marginalisierung besonders gut sichtbar. Dies wird aufgewogen durch die subtil dargestellte liebevolle Fürsorge der Großmutter. Geerdet in natürlichen Zusammenhängen schenkt sie den Mädchen eine höchst kostbare Gabe: ihre Zeit.


Die Ökumenische Jury vergibt ihren Preis im Panorama, ebenfalls dotiert mit 2.500 €, an den Film:

Welcome
von Philippe Lioret, Frankreich 2009

Der Film handelt von der Suche nach Liebe. Die Geschichte zwischen Simon und Marion scheint zu Ende während die zwischen Bilal und Mina es nicht schafft, zu beginnen. Bilal ist zu Fuß aus dem Irak gekommen, um zu Mina zu gelangen, die ihr Vater gegen ihren Willen in England verheiraten will. Bilal wird als illegaler Auswanderer in Calais festgenommen. Er nimmt Schwimmunterricht bei Simon in der verzweifelten Hoffnung, durch den Ärmelkanal zu schwimmen. Dass Simon sich für Bilal engagiert, schafft neue Perspektiven. Der französische Regisseur schafft es, in überzeugender Weise darzustellen, dass Liebe zwischen zwei Menschen nur möglich ist, wenn sie das Engagement für andere einschließt.


Mitglieder der Ökumenischen Jury:

Guido Convents, Belgien
Jes Nysten, Dänemark
Charles Martig, Schweiz (Präsident)
Jolyon P. Mitchell, Grossbritannien
Joachim Valentin, Deutschland
Waltraud Verlaguet, Frankreich

Ökumenische Jury Berlin 2009
V.l.n.r.: Guido Convents, Jes Nysten, Charles Martig, Waltraud Verlaguet,
Joachim Valentin, Jolyon P. Mitchell

Weitere Informationen:
www.berlinale.de
www.signis.net

 

Berlinale 2009 – Wertedebatte im internationalen Kino
Festivalbericht von Charles Martig, Präsident der Ökumenischen Jury

Die Wertedebatte spielt innerhalb des Kinos wieder eine grosse Rolle. Zahlreiche Filme an der Berlinale beschäftigten sich mit Familienwerten, Solidarität und der Integration von traumatisierten Kriegsopfern. Die ökumenische Jury vergab ihren Preis an "Lille Soldat – Little Soldier" von Annette K. Oleson. Die peruanische Regisseurin Claudia Llosa – Gewinnerin des Goldenen Bären – zeigt die Auswirkungen des Krieges anhand eines Frauenschicksals in "La teta asustada – Milch des Leidens". Im Panorama ragte der Migrationsfilm "Welcome" heraus, weil auch hier die Frage nach der politisch wirksamen Nächstenliebe gestellt wird.

Die durch Globalisierung und Mobilität in Frage gestellte Kleinfamilie stellt sich als nachhaltiges Problem dar. Im internationalen Kino findet deshalb eine Debatte statt über die Rettung der traditionellen Familienwerte, oder vielmehr über die Neuformulierung dieser Werte. In “Mammoth – Mammut“ ist es die Situation eines gutsituierten Ehepaares, das sich in der Karriere soweit installiert hat, dass ein geregeltes Familienleben nicht mehr stattfinden kann. Als Ersatz muss eine philippinische Nanny das Mädchen hüten, eine Frau die selbst zwei Kinder zu hause hat, die sie für den Verdienst verlassen musste.

Dass auch im iranischen Film solche Verwerfungen im Mittelstand bestehen, zeigt „Darbareye Elly“. Eine junge Frau, Elly, wird während eines Wochenendes am Kaspischen Meer plötzlich vermisst. Angesichts der Krise fallen die versammelten Verwandten in traditionelle Familienmuster zurück, die sie bereits überwunden glaubten. Asghar Farhadi zeigt einen Konflikt zwischen modernen Lebensformen und traditionellen Familienwerten. In "London River" suchen eine englische Mutter und ein aus Afrika stammender muslimischer Vater ihre Kinder nach dem Londoner Bombenattentat 2005. Sie begegnen sich erst, als sich herausstellt, dass ihre beiden Kinder in einer Partnerschaft lebten, von der sie als Eltern nichts wussten. Erst die Abwesenheit der verschollenen Kindern führt zur Einsicht, dass ein Dialog über die Grenzen von Kultur und Religion hinaus notwendig ist.

Kriegstraumata gespiegelt

Es ist bekannt, dass die Kriege im Irak oder in Afghanistan seine Opfer auch in den westlichen Gesellschaften produziert. In „Little Soldier“ ist es Lotte, eine dänische Frau, die nach einem Auslandeinsatz zurückkehrt. Körperlich und seelisch hat sie Wunden davongetragen. Auf der Suche nach Arbeit findet sie Unterschlupf bei ihrem Vater. Er heuert Lotte als Fahrerin für ein Callgirl an. Dass der Vater ein Bordell betreibt und sein Geld mit Menschenhandel verdient, interessiert die Soldatin vorerst nicht. Erst als sie das Callgirl Lilly besser kennen lernt und sich mit gewalttätigen Freiern konfrontiert sieht, ergreift sie die Initiative. Sie versucht die Prostituierte zu befreien. Ein direkter Konflikt mit ihrem Vater bahnt sich an. Besonders sehenswert macht den Film, dass hier das Schicksal einer Frau mit Kriegserfahrung gezeigt wird. Üblicherweise sind es Männer, die in solchen Ausgangslagen im Kino gezeigt werden. Im amerikanischen Film „The Messenger“ bekommt ein Kriegsrückkehrer die Aufgabe, bei Todesfällen in der US-Armee die nächsten Verwandten zu kontaktieren. Die persönlich überbrachten Botschaften verändern den Soldaten Will nachhaltig. Er erlebt, wie viel Leid der Krieg im eigenen Land auslöst und wie seine eigenen Beziehungen zerbrechen. Nur mit Hilfe seines Vorgesetzten und der regelmässigen Konfrontation mit dem Leiden der Familien kann er sich für ein neues Leben öffnen.

In direkter Verbindung  zu diesen „Kriegsrückkehrer-Filmen“ ist auch der peruanische Film „La teta asustada – Milch des Leidens“ von Claudia Llosa zu sehen. Hier ist es eine junge Frau, die von ihrer Mutter das Schicksal der Vergewaltigung erbt. Die Zeit des terroristischen Kampfes ist vorbei. In Fausta lebt jedoch die Angst weiter und hat ihre Seele geraubt. Doch dieser Alltag der geraubten Seele wird vom Tod der betagten Mutter durchkreuzt. Faustas Leben verändert sich einschneidend. Für sie beginnt eine Reise aus der Furcht in die Freiheit. In der Gestaltung des Filmes sind es die Metapher der „vergifteten Muttermilch“ sowie die melancholischen Gesänge in der Indio-Sprache, die Empathie wecken und überzeugen. Der Gegensatz zwischen Leben und Tod ist im Film vielfach präsent und gibt dem Leiden des Opfers einen weiten Resonanzboden. „La teta asustada“ wurde unter anderem mit Beiteiligung des Schweizer Fonds „Visions Sud Est“ finanziert und kommt dank dem Verleiher Trigon-Film im kommenden Winter in die Schweizer Kinos.

Die Reise zur Loslösung vom Trauma treten auch Frauen in Europa an, die im Bosnienkrieg vergewaltigt wurden. In „Sturm“ von Hans-Christian Schmid ist es eine Anwältin, Hannah Maynard, die am Kriegverbrechertribunal in Den Haag einen Prozess gegen Goran Duric führt. Sie entdeckt, dass der Angeklagte bei systematischer Vergewaltigung im Krieg federführend war. Auf Ihrer Suche nach Zeuginnen versucht sie die junge Bosnierin Mira davon zu überzeugen, am Gericht auszusagen. Als Frau stösst sie dabei auf grosse Hindernisse. Die politischen Hindernisse scheinen unüberwindbar und nur mit grösster Anstrengung gelingt es, den Fall auf den neuen Tatbestand auszuweiten. Das Schicksal von Frauen in Kriegssituationen ist vor allem auch eine ethische Reflexion über den Sinn und Zweck des Tribunals in Den Haag.


Migration und Nächstenliebe

Die zunehmenden Migrationsbewegungen fordern vor allem die wohlhabenden Gesellschaften heraus, ihre Haltung neu zu bedenken. So ist es nicht erstaunlich, dass dieses Thema in aktuellen Filmen aufgegriffen wird. Im französischen Film „Welcome“ von Philippe Lioret ist es der 17jährige Bilal, der aus dem Irak bis nach Calais gereist ist, um zu seiner Geliebten nach England zu gelangen. Doch hier am Ärmelkanal ist für ihn Endstation. Die Lastwagen und Schiffscontainer werden aufs genauste geprüft. Immigranten werden zurückgehalten und in Calais in Asylzentren eingepfercht. Der Kanal scheint unüberwindbar. In einem öffentlichen Bad begegnet Bilal dem Schwimmlehrer Simon, der sich gerade in Scheidung befindet. Er nimmt Bilal auf und gibt ihm Unterricht. In vielschichtiger Weise thematisiert der Film, den Wert der Nächstenliebe, die Bedeutung von Liebe in der Beziehung und die Verpflichtung in einer möglichen Vater-Sohn-Beziehung.

Charles Martig, Filmbeauftragter Katholischer Mediendienst

Interview Radio Vatikan mit Charles Martig: http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=266092

http://www.trigon-film.ch/de/ (Verleih: „La teta asustada“, Goldener Bär)

 

Internationale Filmfestspiele Berlin
Forum 2009

von Heike Kühn

Das Kino ist eine universelle Gedächtnisleistung. Das gilt für fiktive Geschichten, die neue Erinnerungen schaffen oder alte Erzähltraditionen wiederbeleben, ebenso wie für den Dokumentarfilm. Die Verbindung zwischen Fiktion und Dokumentation ist das Ringen mit dem Vergessen. Diesen Kampf führt der 1963 in Osaka geborene Regisseur Funahashi Atsushi mit seinem Schwarz-Weiß-Film Deep in the Valley so exemplarisch, dass Realität und Fiktion wie Bruder und Schwester erscheinen, die sich auf ihren gemeinsamen Ursprung besinnen. Zu Beginn glaubt man sich in einem Dokumentarfilm. In Yanaka, einem alten Viertel in der Tokioter Innenstadt, hebt die allmorgendliche Beschäftigung mit den Toten an. Das Viertel ist berühmt für seine zahlreichen und uralten buddhistischen Tempel und Friedhöfe. Eine Friedhofswärterin schrubbt Grabsteine, ein Priester zelebriert Gedenkgottesdienste. Doch unversehens ist schon das Mädchen durchs Bild geradelt, das sich als die Heldin der in die Wirklichkeit eingelassenen Spielfilmhandlung erweist. Im Dienst einer gemeinnützigen Organisation, die hausgemachte Super-Acht-Filme sammelt und restauriert, ist Kaori auf der Suche nach einem Schatz. 1957 ist die berühmte „Five-Story-Pagoda“ des Viertels abgebrannt. Einen Film zu finden, der den Brand dokumentiert, könnte der Gemeinde Trost spenden: In realen Interviews beklagen vor allem die alten Bewohner von Yanaka, wie sehr ihnen die Pagode als spiritueller Mittelpunkt fehlt. „Wir haben ihren Anblick immer für normal gehalten“, sagt eine alte Frau, „erst als sie weg war, wurde uns klar, dass sie was Besonderes war.“ Sie habe sich, sagt eine andere, im Labyrinth der Grabsteine immer an der Pagode orientieren können.“ „Die Errettung der äußeren Wirklichkeit durch den Film“ (so der Untertitel der Filmtheorie von Siegfried Kracauer) funktioniert hier so doppelbödig, elegant und passioniert, dass man am liebsten eine DVD von Deep in the Valley auf Kracauers Grab legen möchte. Über die Suche nach den reliquiengleichen Bildern vom Verglühen der Pagode kommen Moderne und Tradition in Kontakt. Atsushi skizziert aber auch eine (ver)gammelnde Jugend, die die Alten ausbeutet. In die Tempel, klagt ein realer Priester der Kamera, kämen die Japaner auch nur noch selten, obendrein hätten sie sich eine Patch-Work-Religiosität zugelegt, die es ihnen erlaube, auch Weihachten zu feiern. Der Film erhebt sich im Tal des Vergessens als Leuchtfeuer, Orientierungshilfe und Abgesang zugleich.

Deep in the Valley

Die asiatischen Filme des diesjährigen Forums-Programms weisen nicht alle diese makellose, Poesie und Reflexion integrierende Haltung auf, aber man kommt an ihnen nicht vorbei. Ein vierstündiger Film wie Love Exposure von Sono Sion kommt einem nach zwei, drei Stunden wie ein Fluch vor, aber vom Vergessen ist er nun wirklich nicht bedroht. Love Exposure zeigt die Kehrseite von Funahashi Atsuhis Hoffnung. Frech, monströs, vulgär und  komisch, spielt sich ein in traditionellen Kong-Fu-Künsten und postmoderner Überdrehung ebenso begabtes Schauspielteam durch unwahrscheinlich wahrscheinliche Verfallsszenarien. Im Mittelpunkt steht der wohlerzogene Yu, dessen Mutter früh stirbt und ihm ans Herz legt, dereinst ein Mädchen zu heiraten, das keusch ist wie Maria. Yus Vater macht seinen christlichen Glauben zur Profession und wird Priester. Nachdem ihm eine japanische Sirene verleitet und verlassen hat, entwickelt sich der sanfte Mann zum Großinquisitor. Fortan muss Yu ihm täglich beichten. Seine Sünden sind so lässlich, dass er dazu übergeht, seinem Vater zur Freude ein Bösewicht zu werden. Das Verhältnis zu einem Meister, der hier nicht martial art, sondern die Kunst der Upskirt-Photographie lehrt, wird ebenso köstlich karikiert wie der japanische Schulmädchen-Fetischismus. Yus Verwegenheit beim Erschleichen der Höschen-Photographie macht ihn zum König aller Freaks. Bedauerlicherweise weiß seine als Kampf-Lesbe auftauchende Maria nicht, dass Yus vermeintliche Perversion einem bizarren Verständnis von Katholizismus entstammt. Es folgen Abstecher in allerlei Kindheitstraumata. Missbrauch, Inzest und Sadismus reimen sich hier auf die Anfälligkeit für Sekten. Die japanische Maria wird einer Gehirnwäsche unterzogen. Wer nie gezwungen war, sich quietschbunte Zeichentrickfilme anzuschauen, in denen die japanische Version von Heidi großäugig Kinderschänderland entdeckt, bevor sie sich von einem Hund zum Orgasmus verhelfen lässt, dem kann Love Exposure einen angemessen grotesken Eindruck in die Bandbreite gängiger japanischer Bild- und Glaubensobsessionen vermitteln.

Ein konventionell, kurz und zurückhaltend erzählter Spielfilm wie Treeless Mountain von So Yong Kim, erscheint dagegen zunächst als Wohltat. Doch die Stille, die über den Bildern der südkoreanischen Regisseurin liegt, täuscht. Sie liegt wie eine schwere Decke über dem Schicksal der sechsjährigen Jin und ihrer kleinen Schwester Bin. Als der Schutz der Gewohnheit fortgezogen wird, müssen sich die beiden Kinder einem Leben in Kälte und Verlassenheit stellen. Überfordert und alleinerziehend, lässt ihre Mutter sie bei einer alkoholsüchtigen Schwägerin zurück. Sie werde wiederkommen, sagt die Mutter, wenn das Plastikschwein der Kinder sich mit Münzen gefüllt haben. So verfallen die Mädchen darauf, Heuschrecken zu fangen, zu grillen und zu verkaufen. Der Erlös füllt ihr Schwein, doch nicht ihre Herzen. Unfähig, sich um sich selbst zu kümmern, bringt die Säuferin die Kinder schließlich zu den Großeltern mütterlicherseits. Die Bewegung der herzzerreißend (gut) spielenden Kinder ist gegenläufig zum Ziel der meisten Koreaner. Sie führt von der Stadt zurück aufs Land. Bei ihrer gütigen, hart arbeitenden Großmutter finden die Kinder eine Heimat und das Plastikschwein seine Bestimmung: Mit seiner Hilfe können die Kinder ihrer Oma neue Schuhe schenken.

Facetten von Entwurzelung gehören schon seit über zehn Jahren zu den Charakteristika der asiatischen Filme des Forum-Programms. Doch scheint ihre Intensität zuzunehmen. Bei So Yong Kim taucht das Motiv eines abgebrochenen Zweiges auf, den die Kinder vegeblich in die Erde stecken. Ein Kinderspiel verdichtet sich zur Klage. Mit der Sehnsucht der Kinder wachsen die schlichten Bilder über sich hinaus. Eine letztlich glückliche „Verpflanzung“ wie die aus Treeless Mountain ist die Ausnahme. Sie ist übrigens die Geschichte der 1968 in Pusan geborenen Regisseurin.

Heike Kühn ist Filmkritikerin (u.a. für die "Frankfurter Rundschau" und "epd Film") und INTERFILM-Mitglied