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Riga

 20. Internationales Filmforum ARSENALS Riga
17.-26. September 2010

www.arsenals.lv  |  Festivalbericht

Die INTERFILM-Jury verleiht ihren Preis im internationalen Wettbewerb für Spielfilme an

Puha Tonu kiusamine (Die Versuchung des hl. Antonius)
von Veiko Ounpuu, Estland/Schweden/Finnland 2009

Der Film erzählt von einem erfolgreichen Geschäftsmann, der nach einer Veränderung seines Lebens sucht. Nach dem Tod seines Vaters wird das Gute für ihn immer wichtiger, und sein eingeschränkter kapitalistischer Lebensstil widert ihn zunehmend an. Auf der Suche nach dem Guten begegnet er Gefahren, die ihn zwingen, sich dem Bösen zu stellen.
Ton und Bild des Films sind von außergewöhnlicher Qualität. Die Filmkünstler haben für eine ganz irdische Geschichte einen surrealen Stil gewählt, der vielschichtige Bedeutungen offenbart. Trotz einer apokalyptischen Szenerie gibt es Hoffnung. Das Publikum macht eine höchst ungewöhnliche, innovative Erfahrung.

Die Jury verleiht eine Lobende Erwähnung im internationalen Wettbewerb an den Film

Pal Adrienn
von Àgnes Kocsis, Ungarn/Niederlande/Frankreich/Österreich 2010

Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine übergewichtige Krankenpflegerin. Ständig mit dem Tod konfrontiert, geht sie sich selbst verloren. Sie isst Kuchen, um ihre Gefühle zu betäuben. Eines Tages beginnt sie, nach einem Freund aus der Kindheit zu suchen, und begibt sich auf eine Reise, die sie zu sich selbst zurück führt.
In langsamen Tempo erzählt, ist der Film voller Bilder, die uns Geschichten erzählen und lange haften bleiben. „Pal Adrienn“ zeigt uns, dass es für eine Veränderung nie zu spät ist.

Im Wettbewerb für baltische Filme verleiht die Jury ihren Preis an den Dokumentarfilm

How Are You, Rudolf Ming?
by Roberts Rubins. Lettland 2010

Der junge Rudolf hat ein erstaunliches Talent für das Erzählen. Er erfindet eine eigene filmische Animationstechnik und versetzt sein Publikum in eine magische Welt. Ein katholischer Priester hilft Rudolf, neue Qualitäten und Selbstachtung zu entdecken, und verschafft ihm eine Bühne für seine Kunst.
Der Film verdeutlicht den Wert christlicher Verantwortung, menschlichen Fortschritts und einer weltoffenen Kirche. Seine entspannte und lebensbejahende Haltung springt auf das Publikum über.

Die INTERFILM-Jury verleiht eine Lobende Erwähnung im Wettbewerb für baltische Filme an

Disco and Atomic War
von Jaak Kilmi, Estland 2009

Bestens recherchiert, humorvoll und perfekt geschnitten, handelt dieser Film von gewaltlosem Widerstand und der Macht freier Medien auf dem Hintergrund der sowjetischen Besetzung Estlands. Er fängt die Atmosphäre des Kalten Krieges ein und verleiht der jüngsten Geschichte des Baltikums Fleisch und Blut.

Die Mitglieder der Jury 2010 (v.l.): Ilze Abrama, Riga (Lettland), Ylva Liljeholm, Visby (Schweden), Pfr. Heinz-Martin Krauss, Bremen (Deutschland)

 

20. Internationales Filmforum ARSENALS Riga
17.-26. September 2010
Von Heinz-Martin Krauß, Mitglied der Jury Interfilm

Das Arsenals-Filmfestival in Riga ist nicht nur das Zusammenführen unterschiedlichster Filme, es ist auch ein sehr eigenständiges, künstlerisch eigenwilliges und spirituelles Universum. Die Gründer des Festivals wollten den Bezug von Film und Kunst und dem alltäglichen Leben und seiner Vielschichtigkeit herausstellen. Deshalb gehören sowohl zur Eröffnung als auch zur Abschlusszeremonie Ausstellungsstücke, Tanztheater, Aktionen usw. dazu. Um ein wenig vom spirituellen Universum von Arsenals zu erleben, sind den Veranstaltern die Ausflüge sehr wichtig. Diese sind nicht so sehr auf touristische Attraktionen ausgerichtet, sondern auf die kosmischen Kraftzentren von Arsenals, wie sie sie selbst bezeichnen. Zentral ist hier der Ort Keipene. Zwei Autostunden von Riga entfernt im geographischen Mittelpunkt Lettlands findet man sich in einem winzigen Ort, an dem die Festivalgründer den einzigen Leuchtturm aufgebaut haben, der nicht an der Küste steht. Früher ist man mit der Bahn gekommen – als Hommage an die Lumiere-Brüder. In Keipene gibt es jedes Jahr ein Treffen der Arsenals-Mitarbeiter, die hier kosmische Energie tanken. Auch der in Riga geborene Sergej Eisenstein soll diesen Ort bereits besichtigt haben. Ihm ist in dem kleinen Museum im ehemaligen Bahnhof eine Ausstellung gewidmet, die seinen Ausspruch aufgreift: Ich könnte auch das Telefonbuch verfilmen! An dem Leuchtturm sind Briefkästen befestigt, für Schauspieler, Regisseure usw, die in Bezug zu Arsenals stehen. Ihnen werden tatsächlich Postkarten geschickt, die im Museum aufbewahrt werden. Interessant auch die Kopien von Zeichnungen aus Eisensteins Jugend.

Etwas verrückt, sehr kreativ, bewundernswert engagiert – das zeichnet das Festival in Riga aus, das nur Dank unzähliger ehrenamtlicher Filmfans zustande kommen kann. Das Publikum nimmt dieses Angebot sehr gut an. Viele Vorstellungen waren ausverkauft – auch und gerade bei regionalen Dokumentarfilmen. Oft sind Schauspieler und Regisseure anwesend, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Die Kulisse ist das Jugendstilgebäude des Riga-Theaters. Hier haben wir viele Stunden Filme gesehen. Bei Überschneidungen konnten wir ins Kinomuseum ausweichen, in dem Sondervorführungen für die Jurys veranstaltet wurden. Unsere Jury sollte den internationalen Wettbewerb und die baltischen Dokumentarfilme auswerten. Dieses Programm hat uns so in Beschlag genommen, dass es kaum möglich war, z.B. das japanische Sonderprogramm zu sehen.

Aus dem internationalen Filmprogramm haben wir schon am ersten Tag unseren Gewinner, den überragenden estnischen Film Die Versuchung des hl. Antonius gesehen. Auch die FIPRSCI Jury und die Jury des baltischen Wettbewerbs waren sich einig: Das war eindeutig das Beste, was in Riga zu sehen war. Erstaunt hörte ich nach der Preisverleihung von der Schauspielerin, die die Auszeichnungen entgegennahm, dass der Film in Estland zwar von der Kritik gemocht wurde, aber leider kaum ein Publikum gefunden hat. Dabei ist dieser Film sowohl von seiner künstlerischen Gestaltung  als auch durch seine vielschichtige, gelegentlich. surrealistische Geschichte sein Publikum wert. Der ungemein langsame, aber in seinen Bildern beeindruckende ungarische Film Pal Adrienn wurde von uns mit einer Lobenden Erwähnung ausgezeichnet. Aber auch der griechische Film Dogtooth, der rumänische Film The Happiest Girl in the World oder die schwarze holländische Komödie The Last Days of Emma Blank konnten überzeugen.

Die baltischen Dokumentarfilme geben einen sehr interessanten Einblick in die Lebenswelt dieser Region. Die Uraufführung des lettischen Films How Are You, Rudolf Ming? (INTERFILM-Preis) ließ das Publikum vor Begeisterung von den Sitzen springen und dem Regisseur und dem jungen Rudolf stehende Ovationen bringen. Dieser Film wurde ebenfalls von der FIPRESCI Jury ausgezeichnet. Daneben gab es einen herausragenden Dokumentarfilm aus Estland, der den Versuch der UdSSR, westliches Fernsehen zu unterdrücken, mit soviel Humor erzählt, wie ich es zuvor noch nie bei einem Dokumentarfilm erlebt habe: Disco and Atomic War von Jaak Kilmi (Lobende Erwähnung der INTERFILM-Jury). Die baltische Jury zeichnete den Film The Olympic Man aus, der mit sehr viel Sympathie einen 82 Jährigen zeigt, der Weltbester im Hochsprung werden will. Sehr großes Interesse gab es auch für den umstrittenen lettischen Dokumentarfilm Family Instinct, der eine völlig verwahrloste Familie auf einem heruntergekommenen Hof zeigt, in dessen Mitte Bruder und Schwester stehen, die miteinander zwei Kinder haben, die in mitten von Alkohohl, Schmutz, Gewalt und unerträglicher Angst aufwachsen müssen.

In der Kategorie Animationsfilm gewann der lettische Film How to Swallow a Toad von Jurgis Krasons, den wir bei einem Ausflug direkt zuhause bei Krasons in seinem privaten Kino sehen durften. Dieser Film war auch Beitrag Lettlands in Cannes 2010.

Der Hauptpreis des Arsenals Festivals wurde auch in diesem Jahr wieder verlost und ging den jungen ukrainischen Filmemacher des Films Mum Died on Saturday in the Kitchen.

Dem Festival ist es gut gelungen, über die Filme Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft ins Gespräch zu bringen. Man kann nur sagen: Hut ab, Arsenals! Und ab sofort findet das Festival auch jedes Jahr statt.