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Internationale Filmfestspiele Berlin

 Festivalberichte 2002     Festival-Homepage

Seit 1992 sind die Internationale Katholische Vereinigung für Kommunikation SIGNIS (früher: OCIC) und die Internationale Kirchliche Filmorganisation INTERFILM durch eine seit 2003 aus sechs (davor zehn) Mitgliedern bestehende gemeinsame oekumenische Jury vertreten. Die Jury vergibt ihren Hauptpreis für einen Film aus dem offiziellen Wettbewerb, sowie je einen Preis in der Höhe von 2'500 Euro für einen Film aus der Sektion des „Panorama“ und aus dem Programm des Internationalen Forums des Jungen Films. Die Jury verleiht ihre Preise an Filme von Filmschaffenden, denen es mit wirklicher künstlerischer Begabung am besten gelingt, ein menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck zu bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder die Zuschauerin/den Zuschauer für spirituelle, menschliche oder soziale Fragen und Werte zu sensibilisieren.


 


52. Internationale Filmfestspiele Berlin
6. – 17. Februar 2002

Mitglieder der Jury

Thomas Binotto (Schweiz), Gianna Urizio (Italien), Jes Nysten (Dänemark), Werner Schneider-Quindeau, President (Deutschland), Lothar Strüber (Deutschland), Marie-Theres Kreidy (Libanon), Waldemar Plocharski (Polen), Guido Convents (Belgien), Albert van den Heuvel (Niederlande)


Die Preise der Oekumenischen Jury der Kirchen gehen an:

Bloody Sunday von Paul Greengrass, Grossbritannien/Irland 2001. Der Film zeigt verschiedene Aspekte des „Bloody Sunday“ (Bild), als 1972 im nordirischen Derry durch einen Militäreinsatz 13 Menschen getötet und 14  Menschen verletzt wurden, die an einer Friedensdemonstration teilgenommen hatten. Auf sehr überzeugende Weise zeigt der Film die verheerende Auswirkung einer Politik, die Eskalation von Gewalt in Kauf nimmt, um soziale und religiöse Probleme zu lösen.

Der mit € 2'500.- dotierte Preis für einen Film aus dem 17. Panorama geht an: L’ange de goudron (Der Engel aus Teer) von Denis Chouinard, Kanada 2001. Der Vater einer algerischen Immigrantenfamilie in Kanada steht kurz vor seiner Einbürgerung, als sein Sohn verschwindet. Mit dessen kanadischer Freundin macht er sich auf die Suche und beginnt einerseits, den sozialpolitischen Protest seines Sohnes zu verstehen und andererseits, die Grenzen der eigenen Kultur zu erkennen. Ein ebenso berührender wie politisch brisanter Film.

Der mit € 2'500.- dotierte Preis für einen Film aus dem 32. Internationalen Forum des Jungen Films geht an: E minha cara – That’s My Face von Thomas Allen Harris, USA/Brasilien 2001. Auf eine aussergewöhnliche Weise nimmt uns der afro-amerikanische Regisseur musikalisch und humorvoll auf eine Reise zu den Wurzeln seiner Familie mit. Durch seine Augen entdecken wir den Kontinent seiner Vorfahren, die Bürgerrechtsbewegungen und die reiche Spiritualität der afro-amerikanischen Diaspora.

 

Start geglückt
von Karsten Visarius

Einen gelungenen Einstand bescheinigte die Öffentlichkeit dem neuen Leiter der Berlinale, Dieter Kosslick. Er profilierte sich durch wohlgelaunte Geistesgegenwart gegenüber den Medien ebenso wie durch ungewohnten Teamgeist gegenüber seinen Mitstreiter, Christoph Terhechte als Nachfolger von Ulrich Gregor in der Leitung des Forums des Internationalen Jungen Films, Wieland Speck, wie bisher für das Panorama verantwortlich, und Alfred Holighaus, der ein neu geschaffenes Schaufernster für den deutschen Film betreute.

Den auffälligsten Akzent im diesjährigen Wettbewerbsprogramm setzte Kosslick ebenfalls durch die Unterstützung des heimischen Filmschaffens mit gleich vier deutschen Beiträgen in dieser prestigeträchtigsten Sektion des Festivals. Einer davon, Adolf Dresens >Halbe Treppe<, wurde mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Die Geschichte zweier Ehepaare in Frankfurt/Oder, ihrer Krisen, Trennun-gen, Versöhnungen und Neuanfänge war auch bei Publikum und Presse eine der Favoriten.
Die schon unter Moritz de Hadeln gepflegte Zusammenarbeit mit den Kirchen setzte auch Kosslick fort. Beiden, dem alten wie dem neuen Festivalleiter, konnte man auf dem oekumenischen Empfang der Kirchen begegnen, der wie in den beiden vorangegangenen Jahren auch die jüdische Gemeinde Berlins einschloss. In seiner kurzen Ansprache griff Werner Schneider, der Filmbeauftragte des Rates der EKD, das jüngst vorgelegte filmpolitische Konzept von Staatsminister Julian Nida-Rümelin auf, das die kulturelle Bedeutung des Films in den Mittelpunkt staatlicher Filmpolitik und Filmförderung rückt. Die kulturelle Dimension des Films liegt, so Schneider, auch dem Engagement der kirchlichen Filmarbeit zu Grunde, das im Kontext des Festivals in Gestalt der Oekumenischen Jury zum Ausdruck kommt.

Preis der Oekumenischen Jury
Unter dem Vorsitz Werner Schneiders zeichnete die Oekumenische Jury den Film >Bloody Sunday< mit ihrem Preis aus, der den Ausgangspunkt des nordirischen Bürgerkriegs rekonstruiert und, für viele überraschend, auch den Goldenen Bären gewann. Auch die Sektionen Forum und Panorama werden von der Oekumenischen Jury berücksichtigt, ein immer wieder erstaunliches Arbeitspensum. Im Forum entschied sie sich für den Film >E minha cara (Das ist mein Gesicht)< von Thomas Allen Harris, der die Suche eines farbigen Amerikaners nach seinen afrikanischen und lateinamerikanischen Wurzeln beschreibt, im Panorama für >L’ange de goudron (Der Engel aus Teer)< von Denis Chouinard über eine politisch motivierten Generationenkonflikt in einer kanadischen Immigrantenfamilie.

Europ. Templeton Filmpreis
Allen Preisträgern der Oekumenischen Jury ist die Option für ein gesellschaftlich engagiertes Kino abzulesen. Das gilt auch für den Träger des John Templeton European Film Awards 2001, der von der internationalen kirchlichen Filmorganisation INTERFILM und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) im Rahmen der Berlinale zum fünften Mal verliehen wurde. >Chico<, ein Film der ungarischen Regisseurin Ibolya Fekete, erzählt von den Irrwegen eines kommunistisch geprägten Internationalisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in das militärische Engagement auf kroatischer Seite im ersten Balkankrieg münden. Der Film, so die Templeton-Jury, zeigt „die bleibende spirituelle Dimension der menschlichen Exis-tenz, während Ideologien kommen und gehen.“
Die Regisseurin nahm den mit 7000.- CHFr. Dotierten Preis im Rahmen eines Gottesdienstes in der Matthäuskirche entgegen, die als „Meeting Point“ den Festivalbesuchern während der Berlinale-Tage offen stand. Mit ihren unterschiedlichen Festivalangeboten realisieren die Kirchen ihren Anspruch, Partner im filmkulturellen Diskurs zu sein.


Aus dem Innenleben einer Jury
Worüber ein Jurymitglied in der Regel nicht schreibt. Von Thomas Binotto, Zürich

Gut 150 Filme in zehn Tagen – als Mitglied der Oekumenischen Jury bei der diesjährigen „Berlinale“ braucht man sich um seine tägliche Überforderung keine Sorgen zu machen. Selbst wenn sich die Jurymitglieder, wie in unserem Falle geschehen, dafür entscheiden, gemeinsam den Wettbewerb zu begutachten und sich für die beiden Sektionen „Panorama“ und „Forum des jungen Films“ aufzuteilen, bleibt ein kaum zu bewältigendes Pensum. Um am Ende dennoch zu einem seriösen und mehrheitsfähigen Entscheid zu gelangen, muss man deshalb nicht nur ständig ins Kino gehen, sondern auch diskutieren, wann immer der Projektor still steht. Juryarbeit ist zu einem grossen Teil Kommunikationsarbeit: „Diesen Film habe ich gesehen, der könnte was für uns sein, geht wenn möglich auch hin; diesen fand ich schrecklich, den müsst ihr euch nicht antun; war ganz nett...“

In den ersten Tagen besuchte ich fieberhaft jede sich bietende Vorstellung, aus Angst, ich könnte den Preisträger verpassen; später atmete ich auf, weil sich wider erwarten bereits einige Kandidaten abzeichneten; schliesslich hoffte ich vergeblich auf das eine, alles in den Schatten stellende Meisterwerk. Was natürlich so gut wie nie geschieht, weil Meisterwerke erstens rarer sind als Filmfestspiele und zweitens sich meistens erst Jahre nach ihrer Uraufführung als Klassiker entpuppen. Nach der Hälfte der Festspiele waren einige Filme im Rennen, die man in der Jury ausführlich diskutieren wollte und musste, wobei ein ausgeglichener Wettbewerb wie in diesem Jahr fast noch schwieriger zu beurteilen ist als ein ganz schwacher. Viele preiswürdige Filme, aber keiner, für den man auf die Barrikaden steigt. Schwierig haben es dabei vor allem die leisen Filme, weil sie vom Festivalgetöse rasant überlagert werden. >Heaven< von Tom Tykwer und >July Rhapsody< von Ann Hui beispielsweise waren schon von der Liste verschwunden, bevor sie ihren Zauber allmählich entfalten konnten.

Und dann sitzt man schliesslich in der Schlussrunde, bei der die Entscheidung fällt. Soll ich >Heaven< wieder ins Gespräch bringen und – entgegen den gemeinsam vereinbarten Regeln – meine Kolleginnen und Kollegen mit der Wiederaufnahme einer abgeschossenen Diskussion nerven? Oder halte ich still, in der hoffnungsvollen, aber auch etwas bequemen Erwartung, dass dieser Film doch wohl bei den „Bären“ kaum leer ausgehen wird? Ich entschloss mich für die Zurückhaltung, wohl auch, weil sich allmählich etwas Festivalmüdigkeit breit machte. Dann aber entbrannte doch noch eine heftige Diskussion, allerdings um einen Film, bei dem das niemand erwartet hätte. Mit einem Male weicht die harmonische Stimmung der letzten Tage einem anregenden Streitgespräch um Filmsprache und –inhalt, presst jeder den letzten Rest seiner Englischkenntnisse aus sich heraus, um mit seinen Argumenten in die Diskussion einzugreifen. Obwohl der umstrittene Film das Rennen am Schluss doch nicht macht, tun Diskussionen wie diese einer Jury, aber auch den Preisträgern gut, weil sie ein lebendiger Beweis dafür sind, dass sie sich die Arbeit nicht zu leicht gemacht hat. Dann ist ziemlich abrupt Schluss: Der vermeintliche Aussenseiter, den wir auszeichneten, gewinnt überraschend den „Goldenen Bären; >The Great Dictator< machte mich glücklich, auch weil mir die Entscheidung „Meisterwerk oder Schrott“ schon abgenommen war; ich gehe mit mir ins Gericht, weil ich nur einen lahmen Fight für >Heaven< geliefert habe; und träume davon, einen Sonderpreis für den wohltuendsten Festivaltrend vergeben zu dürfen: für ein Kino, das sich von seiner menschenfreundlichen Seite gezeigt hat.


Freedom Film Festival Berlin
Margarete Wach in: film-dienst 06/02

Noch bevor die “Berlinale “ begann, stand bereits Andreas Dresen als Preisträger fest: beim “Freedom Film Festival”, veranstaltet von der American Cinema Foundation und der Philip-Morris-Kunstförderung, das ausgewählte Filme aus Mittel- und Osteuropa zeigte (8.-10.2.), erhielt er den „Andrzej Wajda/Philip Morris-Preis“. Seine Arbeit zeichne sich, so die international besetzte Jury, durch einen Scharfblick aus, der seine Filme zu einer folgerichtigen Untersuchung gesellschaftlicher Realitäten voller Mitgefühl mache; eine Einschätzung, der sich die Internationale Jury der „Berlinale“, die Dresens aktuellem Film >Halbe Treppe< einen „Silbernen Bären“ verlieh, gewiss hätte anschliessen können. Zum Auftakt war sein Kurzfilm >Jenseits von Kleinwanzleben< zu sehen, der 1989 an der Babelsberger Filmhochschule entstand und, wie oft bei Dresen, Menschen in den Mittelpunkt stellt, die durch die Zeitläufe aus der Bahn geworfen wurden: DDR-Bürger, die im Frühjahr 1989 ein Entwicklungshilfeprojekt in Simbabwe aufbauen, sich als mustergültige „sozialistische Familien“ samt importiertem Inventar im Busch einrichten, während in der Heimat das System zusammenbricht.

Der pointierte Dokumentarfilm, bereits bei seiner Entstehung ein Zeitdokument, gab thematisch die Stossrichtung vor. Auch die anderen Beiträge warfen Schlaglichter in die Vergangenheit, die Rückschlüsse auf die Gegenwart zuliessen: ob in Gyula Gazdags Regafilmen >Der quiekende Pflasterstein< (1971) und >Zwei Herren im Drei-Viertel-Takt< (1974), einer ungarischen Version der 68er-Kulturenrevolution oder in Nachmittag mit einem >Folterer< (2000) des Rumänen Lucian Pintilie. Das fiktive Interview mit einem netten Alten, der sich als Folterknecht der Securitate entpuppt, verweist über die Exzesse der kommunistischen Ära hinaus mit einer scheinbar versöhnlichen Geste des Opfers noch auf ein anderes Problem: die kollektive Amnesie und unterlassene Auseinandersetzung mit den Schrecken der Diktatur. Robert Buchar und David Smith zeichnen in dem Dokumentarfilm >Velvet Hangover< (USA 2000) mit Interviews der tschechischen Regisseure Vera Chytilová, Jiri Menzel, Jan Nemec, Ivan Passer und Karel Vacek die Zeit einer legendären   Kino-Ära nach. Die Helden von einst finden sich in der heutigen Kinolandschaft nicht mehr zurecht, ihre unzeitgemässe Kritik am Verfall moralischer und ästhetischer Normen mag sich die Nostalgie ausnehmen. Rückblickend wird klar, das die tschechische Neue Welle eine seltene, bis heute singuläre Verquickung aus finanziellem Freiraum, künstlerischer Innovationslust und ziviler Entschlossenheit war. Ihre Spuren aber hat sie, ob bei Sascha Gedeon oder Jan Sverak, auch in den Werken der Samtenen Generation hinterlassen.